Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
gemacht? Wenn dem so ist – jetzt ist der richtige Zeitpunkt, es zuzugeben. Bevor es zu spät ist.«
Hegarty trank noch einen Schluck Whisky und schob das Glas dann beiseite. »Meine Karriere steht auf dem Spiel. Ist Ihnen das klar?«
»Ich weiß, ich weiß, aber …«
Er dachte an Charlotte, bei ihm daheim. Wie sie auf ihn zugekommen war. Wie ihr Haar geduftet hatte. Sein Mund auf ihrer warmen Kehle. Er sagte: »Es gibt da eine Hintertür.«
»Wie bitte?« Er hatte so leise gesprochen, dass sie es nicht verstanden hatte.
Lauter sagte er: »Es gibt bei diesem Club eine Hintertür. Die führt auf eine Gasse hinaus. Wir haben nie überprüft, ob sie in dieser Nacht abgeschlossen war.«
»Sie sagen also, jemand hätte auf diesem Wege in den Club hineingelangen können?«
»Ich weiß es nicht. Wenn sie nicht abgeschlossen war … vielleicht.«
Kylie griff sich ihre Handtasche und sammelte schnell die Taschentücher, Pfefferminzdrops und Lippenpflegestifte ein, die bei der energischen Geste herausgepurzelt waren. »Sie sind ein rettender Engel, wissen Sie das?« Dann sah sie seinen Gesichtsausdruck und hielt inne. »Tut mir leid. Aber Sie haben das Richtige getan. Das wissen Sie auch.«
Dann ging sie, und er blieb allein zurück, mit seinem Whisky und nur noch seinem eigenen Gesicht im Spiegel, dem er nicht mehr so recht in die Augen sehen mochte.
Keisha
Keisha atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sich die Tür des Besucherzentrums der Haftanstalt Wormwood Scrubs vor ihr. Ganz ruhig, ganz ruhig , sagte sie sich, während sie vorwärtsging. Du bist nicht festgenommen. Du kannst jederzeit wieder gehen .
Als sie an diesem Morgen die Augen aufgeschlagen hatte, wusste sie, was zu tun war. Ein friedliches Gefühl. Ein Ausweg aus dieser ganzen Scheiße, diesen Monaten der Angst, des Sich-Versteckens, des Hin-und-her-Grübelns, bis ihr überhaupt nicht mehr klar war, was sie tatsächlich gesehen hatte und was sie wirklich wusste. Im Morgengrauen öffnete sie ganz leise Charlottes Schreibtisch und nahm sich Papier, einen Umschlag und eine Briefmarke heraus – aus dem Vorrat für all die Briefe, die Charlotte Dan geschickt hatte – vergebens: Er hatte sie wahrscheinlich nie gelesen. Dann holte sie aus den Tiefen ihrer bestickten Tasche die Blätter mit der angefangenen Aussage hervor.
Sie brauchte eine Stunde, um sie fertig zu schreiben. Sie war nie gut mit Worten gewesen, schrieb aber einfach auf, was sie wusste, woran sie sich erinnerte, was sie zu sagen hatte. Dann steckte sie alles in den Umschlag und schrieb eine Adresse darauf. Sie schlich sich raus, bevor Charlotte wach wurde, zog sich erst auf dem Flur ihre Schuhe an, schloss die Wohnungstür leise hinter sich und ging die Treppe hinab.
Jetzt war sie wieder hier im Gefängnis, und er saß ihr wieder gegenüber. Als sie sein Gesicht erblickt hatte, hätte sie fast auf dem Absatz kehrtgemacht. Er schaute so hoffnungsvoll. So hatte er sie schon sehr lange nicht mehr angesehen.
»Ich war mir nicht sicher, ob du wiederkommst.« Er versuchte, über den Tisch hinweg ihre Hand zu ergreifen, aber sie legte ihre Hände in den Schoß.
»Alles in Ordnung mit dir?« Er musterte sie. »Du siehst nicht gut aus, Keesh. Alles okay?«
Darüber hätte sie fast gelacht. Er saß im Knast, und ihr Kind lebte bei Pflegeeltern, und sie konnte jede Sekunde von den Bullen einkassiert werden, und er fragte: Alles okay? »Du siehst auch nicht gut aus.« Und das stimmte. Sein Gesicht war irgendwie grau, seine Augen blutunterlaufen. Sie sah auch, dass seine Fingerknöchel aufgeschürft waren.
Chris bemerkte ihren Blick und verschränkte die Arme. »Mir geht’s auch nicht gut. Ich brauche deine Hilfe. Hast du noch mal drüber nachgedacht?«
»Ja, hab ich. Hab seitdem an kaum was anderes gedacht.«
»Und?«
Sie seufzte. »Also: Vielleicht helfe ich dir. Du bist ja schließlich Rubys Vater. Und du und ich – na ja.« Sie zuckte mit den Achseln, um auf ihre lange gemeinsame Zeit hinzudeuten; über die Hälfte ihres Lebens hatte sie ihn geliebt. »Aber vorher musst du mir noch was sagen.«
»Alles, was du willst, Baby.« Seine Hand schlich sich wieder über den Tisch und griff nach ihrer. Diesmal ließ sie es geschehen und beugte sich zu ihm hinüber.
»Warst du’s?«, flüsterte sie. Er wusste, was sie meinte; natürlich wusste er das. »Sag es mir. Das ist das Einzige, worum ich dich bitte. Sag mir, ob du es getan hast.«
Zwischen ihnen entstand ein langes Schweigen,
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