Am Sonntag blieb der Rabbi weg
war zwar heute Abend nicht da, aber auch er hat viel für den Tempel gespendet. Vielleicht ist es Ihnen nicht bekannt, aber die Kallen-Familienstiftung unterstützt seit Jahren eine der großen Negerorganisationen – die NAACP, glaube ich. Trotzdem ist Irv Kallen nie auf die Idee gekommen, ich müsste die Farbigen unterstützen, bloß weil er es tut … Sie haben da die Sache mit den Namensschildern an einigen Plätzen erwähnt. Vielleicht ist es Ihnen entgangen, dass auch die Kanzel, von der Sie sprachen, und der Stuhl, auf dem Sie saßen, ein kleines Messingschild tragen, auf dem steht, dass es eine Spende der Kallen-Familienstiftung war – ebenso wie die ganze Einrichtung auf der Empore, einschließlich der Heiligen Lade und der Lautsprecheranlage, die Sie benutzt haben … Vielleicht hätte es sich Kallen anders überlegt, wenn er gewusst hätte, dass ihn eines Tages ein junger Klugscheißer von da oben einen Anbeter des Goldenen Kalbes nennen würde.»
«Geld ist nicht alles», warf Gorfinkle ein. «Sie haben deswegen nicht das Recht …»
«Stimmt – Geld ist nicht alles. Manche Leute haben kein Geld, dafür ein umso besseres Mundwerk … Ich war nicht auf der Universität wie Sie beide – ich bin auf der Straße aufgewachsen. Aber ich hab trotzdem einiges gelernt. Zum Beispiel, dass reden billig ist. Wenn bei uns einer eine große Klappe hatte und keine Ahnung, wovon er redete, dann sagten wir zu ihm, steck doch dein Geld da rein, wo du mit dem Maul schon bist!»
«Also ich bitte Sie …»
«Nur eine Frage … Sie brauchen mir nicht zu sagen, was Sie mit Ihrer Predigt erreichen wollten – das ist mir klar. Der Tempel wächst; er wird zu groß für uns beide … Meinen Sie nicht auch, es ist besser für alle Beteiligten, wenn er wieder ein bisschen kleiner wird?»
«Ich habe nichts …»
«Aber was ich Sie eigentlich fragen wollte: Als Sie da oben so schön predigten – haben Sie sich für Moses gehalten? Oder für Gott?»
10
In der kleinen Studentensynagoge des Hillel -Hauses waren kaum fünfundzwanzig Personen zum Freitagabendgottesdienst versammelt. Rabbi Small hatte den Verdacht, dass nicht alle Juden waren. In der hintersten Reihe entdeckte er einen Mann, der einen schwarzen Anzug und einen Geistlichenkragen trug – das war bestimmt keiner. Sicher der Leiter des Newman-Clubs der Universität, dachte der Rabbi. Seine Vermutung erwies sich als richtig, als sich der Mann am Ende des Gottesdienstes vorstellte. Father Bennett war ein jugendlich aussehender, schlanker Mann von dreißig, der gern lachte.
«Treiben Sie Werkspionage, Father?», neckte ihn der Rabbi.
Der Priester lachte. «Ich fürchtete schon, Sie würden mich als zehnten Mann für Ihr Minjan brauchen … Ist das richtig – Minjan ?»
«Ja, so heißt es. Und Sie haben Recht; es waren enttäuschend wenig Leute da.»
«Wenig? Ich bin erstaunt, dass überhaupt so viele kamen. Die meisten Studenten sind gleich nach der letzten Vorlesung losgefahren … Nicht, dass sie zu Rabbi Dorfman in Scharen kämen; verstehen Sie mich nicht falsch. Zu mir kommt auch nur etwa ein Viertel der Studenten, mit denen man eigentlich rechnen müsste», fügte er schnell hinzu, gewissermaßen als Trost. «Bei uns ist es immerhin verständlich. Die Kirche ist in einem Übergangsstadium; wir versuchen, mit der Zeit zu gehen, aber unsere Jugend ist sehr skeptisch. Sie akzeptiert nicht blind. Sie stellt Fragen, diskutiert und macht Einwände.»
«Finden Sie das beunruhigend?»
«Ganz und gar nicht», antwortete der Geistliche. «Aber manche Fragen können wir einfach nicht beantworten. Zum Beispiel das Problem der Geburtenkontrolle: Viele von unseren katholischen Studenten stammen aus kinderreichen Familien – aus Familien, in denen vor ihnen noch nie jemand auf die Universität gehen konnte. Klar, dass sie nicht die Absicht haben, sechs oder sieben Kinder in die Welt zu setzen – höchstens zwei oder drei; und das bedeutet Geburtenkontrolle.»
«Na und?»
«Ich weiß, dass sie bei Katholiken der so genannten gehobenen Schicht längst praktiziert wird. In den oberen Einkommensklassen sind kinderreiche Familien die Ausnahme. Aber diese moderne Jugend ist so erschreckend ehrlich. Wenn ihnen ein kirchliches Gesetz nicht passt, ignorieren sie es nicht einfach, wie es die frühere Generation getan hat. Die Jungen ziehen eher die Konsequenzen und distanzieren sich vollständig von der Kirche.»
«Die Jungen bleiben schließlich nicht immer jung, und die
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