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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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meisten Leute werden mit dem Alter einsichtiger oder zumindest toleranter», bemerkte der Rabbi.
    «Vielleicht», meinte Father Bennett. «Unter uns gesagt, ich hoffe, dass auch die Kirche toleranter wird. In der Frage der Geburtenkontrolle zum Beispiel hat der damit befasste Ausschuss auf dem Konzil empfohlen, den Gebrauch der Pille nicht zu verbieten.»
    «Und hat sich damit nicht durchsetzen können, ja.»
    «Zumindest vorläufig nicht. Viele Leute hoffen, dass sich das einmal ändert.»
    «Ich weiß nicht …» Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Das geht doch gar nicht.»
    «Warum nicht? Es ist kein Dogma», erklärte der Geistliche lächelnd. «Wissen Sie, die Kirche ist eine sehr humane Institution.»
    «Aber auch eine sehr logische», wandte der Rabbi ein. «Kollidiert eine Geburtenkontrolle nicht mit Ihrer Vorstellung von der Heiligkeit der Ehe? Und die ist ein Dogma.»
    «Hm … Sagen Sie, wie stellt sich die jüdische Religion eigentlich zur Ehe?»
    «Wir betrachten die monogame Ehe als etwas ziemlich … na – Artifizielles, ja? Aber zugleich auch als die beste Möglichkeit unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Ehe ist bei uns ein Vertrag, der durch Scheidung wieder aufgelöst werden kann, falls das Zusammenleben für die beiden Partner unmöglich wird. Bei euch dagegen ist sie ein Sakrament. Ehen werden im Himmel geschlossen, heißt es ja; daher könnt ihr keine Scheidung gestatten – das würde doch bedeuten, dass sich der Himmel geirrt hat, und der Gedanke ist untragbar. Ihr könnt die Ehe höchstens annullieren – eine juristische Spitzfindigkeit, die darauf hinausläuft, dass sie nie geschlossen wurde …»
     
    «Was ist heute Abend in dich gefahren, David?», fragte Miriam, als sie wieder allein waren. «Hast du diesen netten Pfarrer absichtlich so attackiert?»
    Erstaunt blickte er sie an, dann lächelte er. «Mit Father Burke in Barnard’s Crossing würde ich mich kaum über solche Themen unterhalten. Irgendwie fühle ich mich hier freier. Vielleicht die Atmosphäre der Universität … Glaubst du, er hat es krumm genommen?»
    «Ich weiß nicht», antwortete sie. «Jedenfalls hat er sich nichts anmerken lassen.»
     
    Professor Richardson bewohnte ein altes viktorianisches Haus. Die große quadratische Diele war durch eine Schiebetür vom Wohnzimmer getrennt; eine weitere Schiebetür führte vom Wohnzimmer zum Esszimmer, doch nun standen beide offen, sodass sich ein riesiger L-förmiger Raum ergab. Um neun an diesem Samstagabend war die Party in vollem Gang. Die Gäste standen plaudernd in kleinen Gruppen herum. In einer Ecke des Raumes saßen der Rabbi und Mrs. Small mit ihrem Gastgeber um einen niedrigen Tisch. Professor Richardson, ein jugendlich wirkender, athletischer Mann, musste immer wieder aufstehen, um neue Gäste zu begrüßen und dem Rabbi vorzustellen. Mrs. Richardson machte die Runde zwischen den Grüppchen und hastete von Zeit zu Zeit in die Küche, um gleich darauf mit frisch beladenen Tabletts wieder aufzutauchen.
    Der Rabbi wurde mit den unvermeidlichen Fragen bestürmt: «Alle diese Speisevorschriften – sind das nicht ursprünglich reine Hygienemaßnahmen?» – «Warum schafft man sie nicht ab? Die moderne Kühltechnik …» – «Was tut man bei Ihnen, um den Gottesdienst moderner zu gestalten?»
    Die Älteren unter den Anwesenden, meist Dozenten, kamen ebenfalls an den Tisch, um ein paar Worte mit David Small zu wechseln. Auch sie stellten Fragen, aber es blieb bei konventionellen Party-Themen: «Woher kommen Sie, Rabbi?» – «Wie finden Sie unsere Universität?» – «Werden Sie Bob Dorfmans Stelle annehmen?»
    Die jungen Leute waren offensichtlich weniger wegen des Ehrengastes gekommen, als um einander zu treffen. In einer Ecke saßen sechs oder acht Studenten auf dem Fußboden. Ein Junge lag auf dem Bauch, die Füße in den ausgelatschten Schuhen in der Luft schlenkernd. Dem gespannten Schweigen nach zu schließen, das immer wieder von schallendem Gelächter unterbrochen wurde, mussten sie sich wohl Witze erzählen. Einige begrüßten den Rabbi und entschuldigten sich, dass sie am Freitaggottesdienst nicht teilgenommen hatten. Als sich der Leiter der jüdischen Studentenschaft zu ihm setzte, erwähnte der Rabbi dies.
    Der Junge nickte verständnisvoll: «Sie wissen ja, wie das so ist, Rabbi: Man kann noch so viel Reklame machen – es ist halt nur ein Gottesdienst. Das kommt doch niemals an eine Party ran, wo man seine Freundin mitbringen kann

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