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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Kurz vor Schalterschluss hatte er in seiner Bank einen Scheck über fünfhundert Dollar eingelöst und bekam lauter nagelneue Zwanzigerscheine – und neue Scheine sind immer fortlaufend nummeriert. Als wir dann in Mooses Tasche den Beutel mit dem Zeug fanden, rief ich auf gut Glück die Kollegen in Boston an … Vielleicht besteht da irgendeine Verbindung, dachte ich. Und so kamen wir auch auf die Sache mit dem Geld. Wilcox hatte noch vierhundertsechzig Dollar bei sich, laufend nummeriert – und die beiden Scheine, die Moose hatte, tragen die folgenden Nummern.»
    «Glauben Sie, dass Moose diesen Wilcox umgebracht hat?»
    «Nein. Es steht fest, dass Wilcox noch am Leben war, als Moose das Haus verließ.»
    «Steht auch zweifelsfrei fest, dass Moose bei ihm war?»
    «Die beiden Geldscheine sprechen ziemlich eindeutig dafür», meinte Lanigan trocken. «Mir würden sie jedenfalls als Beweis genügen.»
    «Er kann sie ja von jemand bekommen haben, der sie von Wilcox hatte.»
    «Könnte er, ja. Hat er aber nicht. In Boston haben sie einen Augenzeugen, der Moose zu Wilcox gehen sah … Verstehen Sie jetzt, dass ich die Leiche vorläufig nicht freigeben kann?»
    Der Rabbi nickte langsam.
    «Na also.» Lanigan lächelte wieder. «Warum fragen Sie nicht, wie wir Moose überhaupt gefunden haben?»
    «Schießen Sie los.» Der Rabbi hatte ein ungutes Gefühl.
    «Wir erhielten einen Anruf von einem gewissen Begg. Er wohnt in einem Nebengebäude vom Hillson House – das ist die leer stehende alte Villa draußen am Tarlow’s Point, wissen Sie … Ja, und er sagte, er hätte Licht im Haus gesehen. Wir schickten gleich einen Streifenwagen hin, und die Beamten stellten vor dem Haus drei Jugendliche, die gerade davonfahren wollten; ein Mädchen und zwei Jungen … Und wissen Sie, wen wir da aufgegriffen haben, Rabbi? Der eine Junge ist der Sohn Ihres Gemeindevorstehers, und die beiden anderen jungen Leute, William Jacobs und Diane Epstein, gehören auch zu Ihren Schäfchen.»
37
    «Hast du Sorgen, Liebling?», fragte Samantha und goss Kaffee nach.
    «Sorgen? Nein. Warum?»
    «Du bist so schweigsam heute Abend.»
    «Ach, ich habe nur darüber nachgedacht, wie Ben wohl mit dem Rabbi zurechtgekommen ist», sagte Roger Epstein. «Ich hatte eigentlich erwartet, dass er anruft und berichtet.»
    «Sie wollten zu ihrer Schwester nach Lynn – Sarah sagte gestern so etwas … Na, Ben wird den Rabbi über eure neue Synagogenpolitik aufgeklärt und ihm nahe gelegt haben, mitzumachen.»
    «Ja, eben. Und wie ich den Rabbi einschätze, ist er kein … na – Befehlsempfänger.»
    Samantha blickte von ihrer Tasse auf. «Du meinst, er ist störrisch?»
    «Nnnein … Nein, das nicht. Aber ich glaube, er ist kein Mann, der Kompromisse schließt. Er ist einer, der nichts tut, wovon er nicht restlos überzeugt ist.»
    «Aber wenn es Ben anordnet …»
    «Und wenn er sich trotzdem weigert?»
    «Muss er denn nicht tun, was Ben sagt? Er ist ja schließlich kein Priester, der vom Bischof eingesetzt wird. Ihr könnt ihm doch kündigen oder nicht?»
    «Können wir, ja. Und das haben wir auch auf der Vorstandssitzung beschlossen: Ben soll ihm erklären, was wir vorhaben; wenn er dann nicht mitspielen will – oder wenn Ben den Eindruck gewinnt, er will nicht mitspielen; das zu beurteilen haben wir Ben überlassen –, dann soll er dem Rabbi sachte beibringen, dass er hier nicht mehr sehr alt wird …» Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. «Ich habe mir das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen, und jetzt frage ich mich, ob das eine sehr gute Idee war. Im ersten Augenblick hatte mich Ben überzeugt: Der Rabbi könnte seine Stellung ausnutzen, um die Opposition zu unterstützen – in seinen Predigten, beim Sabbatgottesdienst, beim Gemeinde- Seder nächste Woche und was weiß ich noch alles. Wenn es nicht gelingt, ihn zu neutralisieren, meinte Ben, dann müssen wir ihn eben feuern … Keiner von uns hat widersprochen.»
    «Das klingt doch ganz vernünftig.»
    «Mag sein. Aber vielleicht übertreibt Ben ein bisschen. Und außerdem …» Er zögerte.
    «Außerdem?»
    «Außerdem habe ich ein komisches Gefühl bei der Sache.»
    «Wieso? Wie meinst du das?»
    «Na ja … Schau mal, ich bin da einfach so reingeschliddert, ja? Das ist doch alles neu für mich. Ich bin erst seit ein paar Jahren in der Gemeinde – weil mich Ben Gorfinkle dazu überredet hat … Ja, gut – und weil ich dachte, dass ich die Gemeinde als Institution benutzen könnte, um

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