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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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bin ich ja erst auf die Idee gekommen, mal bei den Kollegen in Boston anzurufen: Wilcox rauschgiftverdächtig, tot; Moose, Rauschgift in der Tasche, tot … So sind wir dann darauf gekommen, dass Moose heute diesen Wilcox besucht hat … Hast du Paff schon angerufen?»
    Lieutenant Jennings blickte seinen Chef aus hellblauen, wässerigen Augen vorwurfsvoll an. «Ich hab doch eben erst mit Morehead gesprochen, Hugh.»
    «Schon gut. Knöpf dir den Paff mal vor.»
    «Heute Abend noch? Jetzt gleich?»
    «Ja. Schaff ihn her. Er soll eine Aussage machen … Vielleicht kann er nachher besser schlafen.»
    Jennings grinste. «Kapiert.»
36
    Polizeichef Lanigan sah erstaunt auf, als der Rabbi vor ihm stand. «Sind Sie Hellseher, Rabbi?»
    «Wieso?»
    Lanigans breites rotes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Er fuhr sich mit der Hand durch den weißen Haarschopf und lehnte sich entspannt in seinen Drehstuhl zurück. Trotz des Lächelns blieben die ehrlichen blauen Augen wachsam. «Ich freu mich immer, wenn wir uns mal sehen, das wissen Sie, Rabbi. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie bei dem Sauwetter rübergekommen sind, bloß um mir guten Abend zu sagen … Oder hatten Sie zufällig in der Gegend zu tun?»
    «Ich komme wegen Moose Carter. Sein Vater …»
    «Erzählen Sie mir nicht, der gehört zu Ihrer Gemeinde!», grinste Lanigan. «Die Angelegenheit fällt wohl nicht ganz in Ihr Ressort.»
    «Ich bin auf Carters ausdrücklichen Wunsch hier. Genügt das nicht als Legitimation?»
    «Na ja … Nicht so ganz, fürchte ich.» Lanigans Grinsen wurde noch breiter.
    Der Rabbi verstand Lanigans Haltung nicht, aber er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. «Sie haben Carter gesagt, sein Sohn sei an einer Alkoholvergiftung gestorben. In Ordnung; er akzeptiert Ihren Befund. Er will nichts weiter als ein anständiges Begräbnis für den Jungen. Aber, wenn ich recht verstehe, wollen Sie die Leiche nicht freigeben. Sie haben von einer Obduktion gesprochen. Nun hat Carter seine Grundsätze. Seine religiöse Überzeugung lässt eine Obduktion nicht zu.»
    «Religiöse Überzeugung? Ich bitte Sie! Der Kerl spinnt doch einfach!»
    «Nicht in dem Maß, wie Sie meinen. Er würde sich nicht widersetzen, wenn es darum ginge, die Todesursache festzustellen. Aber das ist ja hier nicht der Fall – die kennen Sie ja.»
    «Eben da irren Sie, Rabbi. Ich habe Carter gesagt, was ich von der Sache halte . Vieles spricht für eine Alkoholvergiftung, aber so genau wissen wir das noch nicht. Es muss da noch eine ganze Menge geklärt werden … Kannten Sie den Jungen?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf.
    «Er war ein Hüne, um die zweihundert Pfund schwer. Und bei Alkoholvergiftung spielt bekanntlich das Gewicht eine Rolle, die Größe, ganz allgemein die körperliche Verfassung. Ein großer, dicker Mann verträgt mehr als ein Fliegengewicht. Wenn man eine entsprechende Menge Alkohol schnell runtergießt – schneller, als sie der Körper verarbeiten kann, so tritt eine Lähmung der Nerven ein, die den Atmungsapparat steuern, und damit der Erstickungstod. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchung spricht nichts dafür, dass er eine tödliche Menge intus hatte … Aber die Sache hat noch einen anderen Aspekt. Kommen Sie – ich will Ihnen was zeigen.»
    Er führte den Rabbi in einen Büroraum neben dem Haupteingang. Aus einem Aktenschrank holte er einen großen braunen Umschlag und leerte den Inhalt auf den Tisch: einen Tabaksbeutel aus Plastik, den er aufmachte und dem Rabbi unter die Nase hielt: «Was halten Sie davon?»
    Der Rabbi schnupperte daran, dann nahm er ein wenig von dem grünlichen Zeug und führte es vorsichtig an die Zungenspitze.
    «Vorsichtig, Rabbi! Sie kommen mit dem Gesetz in Konflikt.»
    «Dann ist es also …»
    « Grass, pot , Hasch, Marihuana … Wir haben’s in Mooses Hosentasche gefunden. Und hier ist seine Brieftasche …» Er öffnete sie. «Mit zwei nagelneuen Zwanzig-Dollar-Noten. Und jetzt dürfen Sie mich fragen, was daran so interessant ist.»
    «Also gut: Was ist daran so interessant?»
    «Die Tatsache, dass Moose Carter bis gegen Mittag keinen Cent besaß. Für die Fahrt in die Stadt musste er seine Mutter um zwei Dollar anpumpen.»
    «Sie meinen, er hat mit dem Zeug gehandelt?»
    «Möglich. Aber die Hauptsache kommt erst: Heute ist in Boston ein Mann namens Wilcox ermordet worden. Es kam über den Fernschreiber; das Rauschgiftdezernat der Bostoner Polizei hatte ihn schon seit einiger Zeit in Verdacht.

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