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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Sie biss sich auf die Lippen. «Du bist ein Traumtänzer, David. Sag mir lieber, wie das jetzt hier weitergehen soll. Wirst du den Gemeinde- Seder Sonntag abhalten? Hast du dir das schon überlegt?»
    «Nein. Aber da du’s erwähnst: Ich finde, solange ich nicht gekündigt habe oder abgewählt bin, so lange bin ich hier der Rabbi. Folglich werde ich den Seder abhalten … Gorfinkles neue Ritualkommission könnte natürlich auch den Kantor bestimmen oder Brooks. Mir wäre das gleichgültig. Für einen abgeschossenen Rabbi ist es vielleicht ohnehin ein bisschen peinlich … Der Seder ist ja auch im Grunde keine Gemeindeveranstaltung, sondern ein Familienfest. Sie machen’s ja überhaupt nur deshalb in der Synagoge, weil viele Leute zu faul sind, zu Hause einen Seder abzuhalten. Oder weil sie nicht wissen, was dabei zu tun ist.»
    «Und was machst du, wenn sie jemand anders bestimmen?»
    «Dann bleib ich eben daheim.»
    «Aber …»
    Es klingelte an der Tür.
    «Wer kann denn das noch sein?», rief der Rabbi. «Es ist gleich elf.»
    Miriam eilte zur Tür. «Ach – Sie, Mr. Carter? Bitte … Treten Sie ein.»
    Er ließ sich ins Zimmer führen und setzte sich behutsam auf die Vorderkante des Sessels, der ihm angeboten wurde. Er saß sehr aufrecht. «Mein Sohn ist tot», sagte er.
    Der Rabbi und seine Frau sahen sich bestürzt an.
    «Oh, Mr. Carter, das ist ja …» Miriam schüttelte den Kopf. «Das ist ja entsetzlich!»
    «Wie ist es passiert?», fragte der Rabbi ruhig. «Erzählen Sie. Kann ich etwas für Sie tun?»
    «Vielleicht», sagte Carter. «Die Polizei hat angerufen, und dann kam einer, mit dem musste ich auf die Wache … Ich hab ihn immer wieder gefragt, aber es war nicht aus ihm rauszukriegen, was eigentlich los war. Na ja – Lanigan hat’s mir ja dann gleich gesagt. Er war selber da … Ich musste ihn identifizieren …» Er lachte bitter auf: «Das Bild meines Jungen war letztes Jahr fast jede Woche in der Zeitung, und alle haben sie ihn gekannt. Aber ich musste ihn identifizieren!»
    «Vermutlich eine Formsache», bemerkte der Rabbi. «Das muss wohl sein.»
    «Ja, wahrscheinlich.»
    «Wie ist er denn gestorben? Woran, meine ich?»
    «Sie haben sich da nicht so festgelegt. Sie haben nur gesagt, dass er getrunken hat, und zwar eine Menge … Na klar, das Zeug ist Gift. Eine Intoxikation, haben sie gesagt … Das ist Lateinisch und heißt Vergiftung. Wussten Sie das?»
    Der Rabbi nickte.
    «Sie haben ihn im Krankenwagen gebracht», berichtete Carter weiter. «Da lag er drin, unter einer Decke. Der Kopf war vorn im Wagen, und ich musste reinklettern … Lanigan kommt hinterher und zieht die Decke weg. ‹Ist das Ihr Sohn?›, fragt er. ‹Ja›, sag ich, ‹das ist mein Sohn› … Dann haben sie mir erzählt, wie sie ihn gefunden haben. In der Hillson-Villa. Er lag auf der Couch und roch nach Whisky. Wenn man das Zeug so schnell trinkt, dass es der Körper nicht mehr loswerden kann, sagt Lanigan, ist es lebensgefährlich … So muss das dann ja wohl passiert sein.»
    «Sie sagten, ich könnte vielleicht helfen», erinnerte der Rabbi. «Soll ich mich nach näheren Einzelheiten erkundigen?»
    «Nein.» Der Tischler schüttelte den Kopf. «Es wird schon so gewesen sein, wie Lanigan sagt. Ich wusste, dass Moose trank. Schon in der High School …» Er verstummte. Nach einer Weile fuhr er fort: «Lanigan hat mich heimgefahren und gewartet, bis ich’s meiner Frau beigebracht hatte … Sie hat durchgedreht. Lanigan hat den Arzt geholt, und der gab ihr ’ne Spritze … Gott wird mir verzeihen, dass ich nicht das Herz hatte, es zu verhindern.»
    «Wie geht es ihr jetzt?», fragte Miriam mitfühlend.
    «Sie schläft. Meine Älteste ist bei ihr.» Er rieb sich die Augen. «Ich bin dann nochmal zur Polizei, um zu fragen, wann ich die Leiche holen lassen kann, wegen der Beerdigung. Lanigan war inzwischen auch wieder da, und er hat mir gesagt, er kann noch nicht beerdigt werden, weil sie erst eine Obduktion machen müssen. Um die Todesursache mit Sicherheit festzustellen.»
    «Das verlangt wohl das Gesetz», sagte der Rabbi.
    «Ich will das aber nicht. Ich kenne die Todesursache. Lanigan hat’s mir ja gesagt. Warum wollen sie ihn da noch aufschneiden?»
    «Um ganz sicher zu sein, nehme ich an.»
    «Ja, wie sicher müssen sie denn noch sein? Ich denke, sie sind sicher – Lanigan hat’s doch gesagt … Nein, ich will das nicht. Der Körper ist der Tempel des Geistes, Rabbi. Und wenn auch der Geist jetzt nicht mehr

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