Am Sonntag stirbt Alison
nötig gewesen, um mir zu beweisen, dass sie das erst vor Kurzem aufgenommen haben. Alison ist eine junge Frau geworden. Sie… sie muss jetzt fast zwanzig Jahre alt sein. Sie ist so hübsch geworden. Sie…« Er brach ab.
»Und die Nachricht?«, fragte Lys atemlos.
»Wenn ich bis zum Sonntag nicht eine Million Euro zahle, bringen sie sie um«, krächzte McKinley ins Telefon.
»Was? Aber… und jetzt?«, fragte Lys und merkte, wie ihr die Knie weich wurden.
»Ich habe keine Million!«, stieß McKinley hervor. »Ich kann bis zum Sonntag nicht mal hunderttausend Euro organisieren. Mein Gott, wie kommen diese Leute nur auf die Idee, dass ich so viel Geld haben könnte?«
»Und was sagt die Polizei?«
»Sie wollen, dass ich zu dem Treffpunkt gehe, und hoffen, den Entführer dort schnappen zu können.«
»Und wo ist der Treffpunkt?«
»Mein Gott, das darf ich dir natürlich nicht sagen!« Er rang hörbar nach Luft. »Was mach ich nur, wenn etwas schiefgeht und Alison stirbt? – Ich muss jetzt auflegen. Kann gut sein, dass sich die Polizei gleich noch mal bei mir meldet.« Es klickte in der Leitung.
Lys legte wie betäubt den Hörer auf und drehte sich langsam zu Sebastian und Leo um, die ihr erwartungsvoll entgegenstarrten. Julia Sommer kam gerade sehr geschäftsmäßig auf die Rezeption zugehastet, wobei sie eifrig auf eine elegante Dame in einem eng anliegenden Designerkleid einredete, deren ausladende Lockenpracht komplett unter einem riesenhaften Hut verschwand. »Hier entlang, bitte!«, säuselte Julia Sommer und die Dame zog an der rosafarbenen Leine, an der sie einen winzigen Chihuahua führte.
»Hast du ein Gespenst gesehen oder warum siehst du auf einmal aus wie ausgespuckt?«, fragte Sebastian mit gerunzelter Stirn.
»Ein Erpresserschreiben. Herr McKinley hat ein Erpresserschreiben bekommen«, flüsterte Lys. »Sie drohen, Alison am Sonntag zu töten, wenn er bis dahin nicht eine Million gezahlt hat.«
Leo starrte sie an wie einen Geist. »Ach du Schande«, sagte Sebastian.
»Aber… aber das kann nicht sein!«, stotterte Leo. »Das würde doch bedeuten, dass diese Leute Alison drei Jahre lang gefangen gehalten haben!«
»Na ja, möglich ist es«, meinte Sebastian.
»Aber… wer entführt ein Mädchen und fordert erst nach drei Jahren Lösegeld?«, rief Leo entgeistert.
Lys hob hilflos die Schultern.
»Wenn Sie hier bitte warten wollen? Wir lassen sofort Ihr Gepäck aufs Zimmer bringen«, sagte Julia Sommer da gerade hinter ihr.
»Ja, gut. Aber beeilen Sie sich bitte«, meinte die Dame mit Hut von oben herab. »Özil, Platz!«, herrschte sie den Chihuahua an, der an einer der antik anmutenden Vasen schnupperte und Anstalten machte, sein Bein zu heben.
Ich träume, dachte Lys. Das ist jetzt wirklich zu viel. Erst ein Entführerschreiben und dann das.
Die Dame lehnte an der Rezeption und lächelte engelsgleich unter der Hutkrempe hervor. »Entschuldige den Überfall, Lys«, sagte sie. »Aber ich habe Alison gefunden.«
Es war Sibel Özcelik.
***
»Also, wenn ich gewusst hätte, dass ihr auch schon hier gelandet seid und längst mit dem Personal Brüderschaft getrunken habt, hätte ich mir diese Kostümparty gespart.« Sibel lehnte in einem bequemen Sessel im VIP-Bereich des Cafés, hatte die Füße aus den hochhackigen Pumps gezogen und auf der zierlichen Querstrebe des Tischchens abgelegt und nippte an einem Eiskaffee. Julia Sommer, die im Sessel neben ihr kauerte und so bleich war wie die Spitzengardine hinter ihr, warf ihr einen ungnädigen Blick zu, offenbar ließ sie sich nur ungern als Personal bezeichnen. Der Chihuahua kaute an den Troddeln des Sessels herum.
»Zumal Tante Ai ş e nicht wirklich begeistert war, als ich ihr erst das Kleid, dann den Hut und zuletzt auch noch ihren Kläffer abgeschwatzt habe«, fuhr Sibel ungerührt fort.
»Heißt er wirklich Özil?«, fragte Sebastian ungläubig.
»Na, besser als Schweinsteiger, oder?«, meinte Sibel.
»Könntest du jetzt endlich mal erklären, was das alles überhaupt bedeuten soll? Wo hast du Alison gefunden?«, unterbrach Lys ungeduldig, während sie auf ihrer Stuhlkante herumrutschte, als ob sie dringend auf Toilette musste.
Sibel blies ein Staubkörnchen von ihren lackierten Nägeln. »Wisst ihr, ich habe nachgedacht«, sagte sie. »Besonders seit deiner Nachricht von gestern früh, Lys. Und je länger ich nachgedacht habe, desto weniger konnte ich glauben, dass Alison wirklich entführt und drei Jahre lang gefangen gehalten
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