Am Sonntag stirbt Alison
Julia Sommer war aufgesprungen. »Wenn Alison drei Jahre lang versteckt in München gelebt hat, wieso ist sie dann jetzt plötzlich entführt worden und man erpresst ihren Vater? Die Frau auf dem Zeitungsfoto kann nicht Alison sein! Wahrscheinlich sehen sich diese Christine Saier und Alison einfach nur zufällig relativ ähnlich.«
»Oder es ist doch Alison, sie hat drei Jahre in München gelebt, bis irgendjemand herausgefunden hat, wer sie in Wirklichkeit ist, und sie entführt«, überlegte Sebastian.
»So etwas tut man vielleicht, wenn man herausfindet, dass jemand in Wirklichkeit Paris Hilton ist. Aber doch nicht bei irgendeinem Mädchen, das vollkommen unbekannt ist!«, rief Julia Sommer aus.
»Ist ja auch völlig egal«, sagte Lys. »Wir müssen Sibels Informationen auf jeden Fall an die Polizei weiterleiten. Bestimmt hilft es denen bei der Suche nach dem Entführer. Vielleicht wird Alison ja sogar irgendwo in München gefangen gehalten.«
»Entführer? Was für Entführer?« Die Stimme erklang so plötzlich, dass Lys erschrocken herumfuhr. Der Mann, der hinter ihr stand, war ungefähr fünfzig Jahre alt. Er hatte dunkle, etwas schüttere Haare, die an den Schläfen bereits ergraut waren. Der glänzende dunkelblaue Anzug, den er trug, verriet, dass er definitiv nicht zur Putzkolonne gehörte.
»Wolfgang!« Julia stieß einen regelrechten Stoßseufzer aus. »Es geht um Alison! Ein Entführer hat sich bei ihrem Vater gemeldet und erpresst ihn um eine Million Euro. Und diese junge Frau hier«, sie wies auf Sibel, die den Herrn musterte, ohne sich die Mühe zu machen, die Füße von der Tischverstrebung zu nehmen, »hat herausgefunden, dass Alison jahrelang unter dem Namen Christine Saier in München gelebt hat.«
Es war offensichtlich, dass der ältere Herr genau wusste, wer Alison war. Bei der Information wurde er so grau im Gesicht, dass Lys sich vorsichtshalber die Einzelheiten ihres Erste-Hilfe-Kurses ins Gedächtnis rief. Zum Glück machte der Mann im Anzug keine Anstalten, einen Herzinfarkt zu bekommen. Stattdessen wanderten seine zuckenden Augen zu Leo Lambert. »Leo?«, stieß er fassungslos hervor.
»Guten Tag, Herr Berghäuser.« Leo stand auf.
»Aber…« Herrn Berghäusers verwirrter Blick ging wieder zu seiner Nichte hinüber. »Alison?«, fragte er. »Unsere Alison?«
Julia nickte hilflos. Dann riss sie sich sichtlich zusammen und wandte sich zu Lys, Sebastian und Sibel: »Das ist mein Onkel. Der Inhaber des Hotels. Wolfgang, das sind… ähm… Lysande, Sebastian und… ähm… Sibylle?«
»Knapp vorbei ist auch daneben«, knurrte Sibel.
»Lysande?« Herrn Berghäusers graues Gesicht wandte sich Lys zu. »Ein sonderbarer Name. Ist das französisch?«
»Sie haben eine Nachricht im Internet gefunden«, fuhr Julia ungeduldig fort. »Sie lautet: Am Sonntag stirbt Alison.«
»Was?«, fragte Herr Berghäuser entgeistert.
»Deshalb sind sie hier. Leo ebenfalls. Um Alison zu retten«, erklärte Julia.
Wolfgang Berghäuser sah so aus, als würde er überhaupt nichts verstehen. Lys rutschte ungeduldig auf ihrem Sitz herum. »Wir müssen jetzt wirklich die Polizei anrufen«, wiederholte sie. »Kann ich noch mal Ihr Telefon benutzen?«
Julia knetete nervös ihre Fingerknöchel. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich das mache. Nein, glaubt mir«, fiel sie Lys ins Wort, die protestieren wollte, »ich bin wirklich geübt im Umgang mit offiziellen Stellen. Die Polizei wird sicher eher auf mich als auf eine Schülerin hören.«
»Hm. Na gut«, murmelte Lys.
»Ich bin gleich zurück.« Julia erhob sich hektisch und wandte sich der Tür zu, ihr Onkel folgte.
»Warten Sie, ich komme mit!« Lys sprang auf und hastete hinter ihnen her.
Sie gingen nicht zur Rezeption, sondern in ein Büro im dritten Stock. Lys blieb in der Tür stehen und sah zu, wie Julia eine Nummer wählte und anschließend darum bat, mit jemandem von der Bonner Polizei verbunden zu werden. Es dauerte eine Weile, dann nannte sie ihren Namen und die Adresse und gab in knappen Worten wieder, was Sibel herausgefunden hatte. Schließlich legte sie auf. »Sie nehmen sofort mit der Polizei in München Kontakt auf«, verkündete sie. »Ich rufe gleich Herrn McKinley an und sage ihm Bescheid.«
»Tu das. Ich muss zurück in den Konferenzraum«, sagte Herr Berghäuser, schob sich an Lys vorbei und hastete den Gang hinunter.
Lys schlenderte hinterher, während Julia Sommers aufgeregte Stimme aus dem Büro drang: »Ja, Sie haben richtig
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