Am Sonntag stirbt Alison
gehört, Herr McKinley, in München. Ja, ja, genau. Ja, das denke ich auch…« Lys wartete darauf, dass sich ein Gefühl der Erleichterung einstellte. Sie hatten der Polizei einen wertvollen Hinweis geben können, der möglicherweise dazu beitragen würde, Alison zu retten. Mehr konnten sie nicht machen. Jetzt lag die Sache in den Händen der Profis. Eigentlich konnte sie jetzt wieder nach Hause fahren, hier gab es nichts mehr für sie zu tun.
»Du suche Alison, ja?«
Lys fuhr herum und starrte in das blasse Gesicht der Putzfrau mit den vorstehenden Zähnen, die neben einem großen Schiebewagen mit eingehängtem Müllbeutel und übereinandergestapelten Reinigungsmitteln stand.
»Ich euch gehört. Du suche Alison.« Sie sprach mit einem slawisch klingenden Akzent.
»Sie kennen Alison?« Lys musterte sie interessiert.
Die Frau nickte. »Ich dort geputzt, früher. In Schule.«
»Sie haben in der Max-Beller-Schule geputzt?«, fragte Lys aufgeregt.
Wieder nickte die Frau. »Alison gutes Mädchen. Sie oft mit mir sprechen. Andere Kinder nicht mit Putzfrau sprechen, Alison schon. Hat mir Dinge erzählt. Dinge, die sonst niemandem erzählt.«
»Dinge? Was für Dinge denn?«
»Alison große Sorgen gemacht«, antwortete die Frau.
»Sorgen? Warum denn? Hat sie jemand bedroht?«
»Alison sagt, sie finden jeden. Egal wo er ist. Sie sagt, Mama weiß es auch, Mama große Angst, schluckt immer Pillen deshalb. Aber Pillenschlucken hilft nicht. Kämpfen hilft, hat sie gesagt.«
»Kämpfen? Aber gegen wen denn?«
Die Putzfrau hob die Schultern. »Ist Geheimnis, hat sie gesagt. Ich dich nicht Gefahr bringen, Anna, hat sie gesagt.«
»Sie meinen, nicht nur Alison wurde bedroht, sondern auch ihre Mutter?«, fragte Lys entgeistert.
Wieder hob die Putzfrau die Schultern. »Ich weiß nicht. Sie nicht mehr gesagt.«
Lys starrte sie an. »Danke«, sagte sie dann und wandte sich zum Gehen.
»Alison war so wie du«, rief die Putzfrau ihr leise hinterher.
Lys fuhr herum.
»Es ist wegen dem Jungen. Und wegen Mama, ja?«, meinte die Putzfrau.
»Welcher Junge? Hatte Alison einen Freund?«
»Ich meine deine Mama. Und Junge, der sie totgeschossen hat.«
Lys erstarrte. Gleichzeitig fing der Boden unter ihren Füßen an zu schwanken und sie musste sich an der Wand abstützen. Woher weiß sie davon?
»Ich habe dein Gesicht erkannt. Es war in Zeitung, auf Foto. Letztes Jahr«, erklärte die Putzfrau flüsternd. »Ich manchmal lese Zeitung, was Gäste liegen lassen.«
Lys konnte nicht antworten. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Zunge am Gaumen festgeklebt war.
»Meine Mama auch ist getötet worden«, fuhr die Putzfrau leise fort.
Wer hat sie denn getötet, wollte Lys fragen, doch alles, was sie herausbekam, war ein zittriges: »Wer…«
Die Putzfrau zuckte mit den Schultern. »Mafia«, sagte sie. Dann griff sie nach dem Putzwagen und schob ihn den Gang hinunter.
Lys starrte ihr stumm hinterher. Sie lehnte sich gegen die Wand und merkte erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatte. Keuchend atmete sie aus. Auf einmal fühlte sie sich sehr, sehr müde. Einatmen. Ausatmen. Doch dann fuhr sie mit einem Mal herum und stürmte die Stufen hinunter, zurück zum Café.
Sebastian und Leo saßen immer noch am Tisch und hingen an Sibels Lippen, die gerade eine weitere Verschwörungstheorie zu der Entführung zum Besten gab, während Özil eine leere Kaffeetasse durch den Raum rollte. Leo sprang auf, als er Lys sah. »Und?«, fragte er. Dann musterte er sie erschrocken. »Hey, alles o.k. mit dir? Du siehst ziemlich fertig aus. Was hat die Polizei gesagt? Haben sie Alison etwa schon gefunden?«
»Nein, nein. Alles o.k. Die Polizei weiß jetzt Bescheid«, sagte Lys und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Sie alarmieren ihre Kollegen in München.«
»Na, dann ist ja alles gut«, sagte Sibel zufrieden. Özil heulte. Sebastian strich Lys kurz, fast unmerklich, über die Schulter. Er sah besorgt aus.
»Denkt ihr, das nützt Alison etwas?«, fragte Leo. »Dass die Polizei weiß, wo sie früher gelebt hat?«
»Keine Ahnung«, meinte Sibel.
»Und was, wenn die Polizei zu spät kommt?« Leo vergrub den Kopf in den Händen. »Und sie Alison wirklich umbringen?«
»Ach, die Bullen machen das schon.« Sibel schob sich ein Sahnebaiser in den Mund.
»Nein«, sagte Lys und sprang auf.
»Was nein?«
»Nein. Die machen das nicht. Wir machen das«, erklärte Lys. »Wir fahren nach München. Jetzt.«
***
Hin und her gingen die Scheibenwischer,
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