Am Sonntag stirbt Alison
mit viel zu dicken Kissen und eine Frauenstimme neben ihr sagte gerade: »Und vergiss nicht, ihm nach dem Gassigehen sein Leckerli zu geben, ich will doch, dass mein Fifi sich wohlfühlt!«
Fifi?, dachte Lys verdattert und hob den Kopf.
»Lys!« Der Schrei ließ ihre Ohren dröhnen. »Oh, Lys, ich bin ja so froh, dass es dir wieder gut geht!« Sibel stand neben dem Bett und machte einen regelrechten Luftsprung.
»Wer sagt, dass es mir gut geht?«, murmelte Lys. Ihr war furchtbar schwindelig und in ihrer linken Schulter pochte ein ekelhafter Schmerz.
»Äh… die Ärzte«, meinte Sibel nach kurzem Nachdenken. »Sie sagen, warte, dass ich es auch richtig zusammenbekomme… sie sagen, dass sie dir eine Kugel aus der linken Schulter herausoperiert haben, dass du ein Wahnsinnsglück gehabt hast, dass das Ding nicht deine Lunge getroffen hat, und dass du mindestens einen halben Liter Blut verloren hast.«
»Na, das sind ja tolle Neuigkeiten«, stöhnte Lys.
»Mann, dein Vater ist fast aus den Latschen gekippt, als ich ihm gesagt hab, dass du angeschossen worden bist.«
»Was?« Lys setzte sich ruckartig auf, was eine schlechte Idee war, denn ihr wurde augenblicklich schwarz vor Augen. Stöhnend ließ sie sich in die Kissen zurückfallen. »Was hast du getan?«
»Na ja, die haben mir gesagt, ich müsse die Angehörigen informieren«, verteidigte sich Sibel.
»Meine Güte, er wird ausflippen!«, seufzte Lys. Dann fielen ihr die wirklich wichtigen Dinge ein. »Was ist mit Sebastian? Und Alison?«
»Oh, Sebastian liegt ein paar Zimmer weiter. Er hat sich den Arm gebrochen, als er von seinem Schrottbock geflogen ist. Jetzt hat er einen beeindruckenden Gips und jammert wie ein Baby.«
»Hör auf damit!«, schimpfte Lys. »Er ist mit dem gebrochenen Arm quer durch den Wald und bis ins Dorf gefahren! Er muss höllische Schmerzen gehabt haben! Und er hat mir das Leben gerettet!«
»Oh, ’tschuldigung, ich wusste nicht, dass der Fußballer jetzt zum Helden aufgestiegen ist.« Sibel verdrehte die Augen.
»Und Alison? Was ist mit ihr?«
»Tja, keine Ahnung. Jetzt schau mich nicht so an, glaubst du, ich habe ein Abo für den Polizeifunk?«
Lys seufzte tief. Vom Nachbarbett sahen zwei alte Damen, offenbar die Fifi-Besitzerin und deren Freundin, mitleidig zu ihr hinüber. »Was ist mit den anderen? Leo und Julia?«
»Die warten draußen mit dem Hund.«
»Darf man hier mit dem Handy telefonieren?«, fragte Lys.
»Nö. Aber du hast ein Telefon am Bett.« Sibel zeigte auf das quietschgrüne Nachttischchen.
Lys hob den Hörer ab und tippte mühsam die Nummer ihres Vaters ein. Nach dem dritten Klingeln hob er ab. Aufgeregt erklärte er ihr, dass er gerade dabei sei, seine Sachen zu packen und nach München zu fahren. Lys seufzte leise und redete dann mindestens eine Viertelstunde beruhigend auf ihn ein, dass er bitte nicht ihretwegen die Konferenz abbrechen solle, es gehe ihr gut, sie liege ja ohnehin nur im Bett herum, Sibel sei da und so weiter und so fort, bis ihr Vater sichtlich erleichtert seine Reisepläne verschob. »Sag mir Bescheid, sobald du entlassen wirst, dann hole ich dich ab«, meinte er.
»Ja. Klar«, sagte Lys und legte auf, gerade in dem Moment, als eine Krankenschwester zur Tür hereinkam. Sie fragte, ob Lys etwas zu trinken und zu essen wolle und ob sie Schmerzen habe, was Lys alles bejahte, woraufhin die Krankenschwester ihr ein Schmerzmittel in Tropfenform verabreichte und versprach, sich um ein Frühstück zu kümmern. »Ach, übrigens, draußen wartet jemand von der Polizei. Fühlst du dich fit genug, um mit der Dame zu sprechen?«, fragte sie zum Schluss.
Lys verspürte einen Kloß im Hals und beschränkte sich darauf, heftig zu nicken.
Kurz darauf kam eine dunkelhaarige Frau in Motorradkluft zur Tür herein. »Schänger, Kriminalkommissarin«, stellte sie sich vor.
Lys setzte sich auf, etwas vorsichtiger als beim letzten Mal, und zum Glück spielte ihr Kreislauf diesmal mit. »Haben Sie Alison retten können?«, fragte sie aufgeregt.
»Die entführte Frau?« Die Kommissarin lächelte. »Oh ja, das haben wir«, sagte sie. »Die Streifenpolizisten haben anhand deiner Beschreibung die Hütte gefunden und die junge Frau war noch dort. Ihr Entführer hatte aber bereits das Weite gesucht. Er ist so überhastet aufgebrochen, dass er nicht einmal die Tür der Hütte abgeschlossen hat. Das Mädchen hätte also fliehen können, wenn sie es bemerkt hätte. Er hat sich auch nicht die Zeit genommen, seine
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