Am Sonntag stirbt Alison
Unverständliches.
»Bitte«, sagte Leo. »Ich möchte es wissen.«
»Er war in Sebastians Fußballverein«, sagte Lys nach einer Weile. Ihr Mund fühlte sich plötzlich taub und trocken an und sie hatte das Gefühl, ihre Umgebung nur noch durch eine getrübte Glasscheibe wahrzunehmen.
Es sind nur ein paar Worte. Es ist nicht so schwer. Sag sie einfach.
»Er war nicht beliebt und auch kein besonders guter Fußballer, und einige der anderen Jungs haben ihn ständig gehänselt. Irgendwann hat er dann auf der Website des Fußballvereins gepostet, dass er sich rächen und sie alle abknallen würde. Das hat aber wohl niemand gelesen oder zumindest nicht ernst genommen. Jedenfalls kam er zum nächsten Training mit einer Pistole in die Umkleide. Später hat er gesagt, er hätte niemandem etwas zuleide tun wollen, nur Angst machen wollte er ihnen.« Lys schwieg. In ihren Ohren lag ein sonderbares Surren. Vielleicht würde Sibel einfach an ihrer Stelle weitersprechen. Oder Sebastian. Nein, es blieb still auf der Rückbank. »Meine Mutter«, sie musste sich räuspern, weil ihre Stimme plötzlich nur noch ein heiseres Krächzen war, »meine Mutter war Trainerin der Mädchenmannschaft. Sie waren gerade in der Umkleide nebenan, und als sie die Schreie aus der Nachbarkabine hörte, lief sie hinüber. Sie hat Benni angebrüllt, dass er ihr sofort die Waffe geben und machen solle, dass er wegkommt. Und da hat Benni geschossen. Zweimal, dann ist er weggerannt. Am Anfang sah es gar nicht so schlimm aus. Meine Mutter hat selbst noch die Polizei und einen Krankenwagen gerufen. Aber eine der Kugeln hatte ein großes Blutgefäß im Bauch getroffen. Sie haben sie noch operiert, aber sie konnten die Blutung nicht rechzeitig stillen. Sie ist noch während der Operation gestorben.«
»Das tut mir leid«, murmelte Leo.
Sebastian schwieg weiterhin, ebenso Sibel, aber jetzt war Lys dankbar dafür. Sie starrte aus dem Fenster auf die graue Landschaft, die wie ein endloses Band vorüberzog. Du scheinst der Meinung zu sein, es würde etwas ändern, wenn du ein ähnliches Verbrechen verhinderst, hatte Sibel gesagt. Falls es stimmte, war es jedenfalls ein Irrtum gewesen, denn sie hatte jetzt nicht das Gefühl, dass sich irgendetwas in ihrem Gefühlschaos geändert hatte. Ganz im Gegenteil.
Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Die Angst in Alisons Augen. Und dann war da noch etwas, was sie gestern gehört hatte, etwas, das McKinley gesagt hatte…
Lys setzte sich kerzengerade auf, mit dem Ergebnis, dass der Gurt schmerzhaft in ihre Wunde schnürte. »Autsch!«, stöhnte sie auf.
»Ist was?«, fragte Sibel mürrisch von hinten.
»Das Telefongespräch!« Lys hatte sich zusammengekrümmt, sie keuchte vor Schmerz.
»Was für ein Telefongespräch?«, fragte Leo erstaunt.
»Julia Sommer! Sie hat McKinley angerufen. Am Samstag, kurz nachdem sie die Polizei informiert hatte, dass Alison all die Jahre unerkannt in München gelebt hat.«
»Ja, und?«, fragte Sibel.
»Aber McKinley hat gestern behauptet, er habe erst Sonntagmittag davon erfahren.«
»Na, da hat er eben etwas durcheinandergebracht«, meinte Leo achselzuckend.
»Er hat drei Jahre lang Tag und Nacht darüber gegrübelt, ob seine Tochter noch am Leben ist, und dann erhält er endlich diese Nachricht! – Mann, so einen Moment vergisst man doch sein ganzes Leben nicht mehr! Und behauptet schon gar nicht einen Tag später, man habe es gerade eben erst erfahren!«
»Worauf bitte willst du hinaus?«, fragte Sibel.
»McKinley lügt! Er wusste schon die ganze Zeit, dass Alison in München war. Er hat sie dort aufgespürt und wahrscheinlich hat auch er diesen Kerl beauftragt, damit er Alison entführt. Deshalb hat es ihn auch überhaupt nicht beeindruckt, als Julia Sommer ihm davon erzählte, und deshalb hat er das gestern durcheinandergebracht. Das ist die einzig logische Erklärung! Ich hab’ doch von Anfang an gewusst, dass der Kerl hinter allem steckt!«
»Warum bitte sollte McKinley seine eigene Tochter kidnappen?«, fragte Sibel.
»Vielleicht hat er eine Versicherung abgeschlossen, die bei Kindesentführung zahlt?«, schlug Sebastian vor.
»Wer hat denn schon so ’ne Versicherung?«, fragte Sibel und tippte sich an die Stirn. »Das lohnt sich doch nur für Promis und Multimillionäre!«
»Und was, wenn er Alison ermorden will?«, fragte Lys.
»Wieso sollte er Alison ermorden?«, fragte Leo hellauf entsetzt.
»Weil sie Geld von ihrem Opa geerbt hat, das er
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