Am Strand des Todes
ins Wasser hinein und packte ihn.
Es war Max.
Sein lebloser, schlaffer Körper hing hilflos in der
Schwimmweste. Jeff ergriff den Bruder unter den Armen und
zog ihn die wenigen Meter an Land, wo die sanfte Brandung
ihn nicht mehr erreichen konnte. Als er ihn behutsam auf den
Rücken legte, sah er erschüttert in weit aufgerissene Augen.
Es dauerte eine Weile, bis er die aufgeweichten Bänder der
Schwimmweste lösen und Max aus ihr herausschälen konnte.
Verzweifelt preßte er beide Hände gegen die Brust des
Bruders, worauf ein dünner Wasserstrahl aus dem Mund des
Leichnams trat. Als er den Druck seiner Hände wieder
lockerte, hörte man, wie die Luft mit leisem Gurgeln den Platz
des Wassers einnahm.
Obwohl er wußte, daß sein Bruder tot war, unternahm er
fieberhafte Wiederbelebungsversuche. Er wollte es einfach
nicht wahrhaben. Doch schließlich gab er auf.
Er hockte neben dem Leichnam im Sand und blickte in die
gebrochenen Augen. Schließlich fand er die Kraft, sie sanft
zuzudrücken. Für den Rest seines Lebens würde er mit dieser
Erinnerung leben müssen. Nie könnte er diese Augen
vergessen, die wie mit leisem Vorwurf zu ihm hochstarrten …
Und endlich konnte Jeff weinen. Sein Schluchzen erfaßte
den ganzen Körper, während ihm die Tränen über die Wangen
liefen und im Sand versickerten.
Schließlich richtete er sich mühsam auf, den toten Bruder in
den Armen. So schritt er schwerfällig über die Sod Beach
zurück nach Clark’s Harbor.
Kurz darauf war der Strand wieder leer. Nur die Möwen
tanzten am tiefblauen Himmel, und zwischen den TreibholzStämmen spielte das Otternjunge.
Aber weit draußen, jenseits des Horizonts, versammelte der
auffrischende Wind erneut dunkle Sturmwolken. Schon bald
würden sie die Küste herabfegen.
19
»Wie weit noch?« fragte Elaine.
»Zehn, fünfzehn Kilometer«, meinte Brad. »Und registrier
bitte, daß es nicht regnet.«
»Registriert«, sagte Elaine. Ihrer Meinung nach hätten sie in
die Ausläufer des nächtlichen Sturms über Clark’s Harbor
geraten müssen, doch Brad hatte ihr optimistisch
widersprochen, worauf sie ihm eine Wette angeboten hatte.
Und tatsächlich – als sie Olympia hinter sich gelassen und
Richtung Westen weitergefahren waren, hatte es zusehends
aufgeklart. Und seit zwei Stunden nun konnten sie die warme
Frühlingssonne genießen. In den Tälern lag vereinzelt noch
etwas Bodennebel über den Moosen und Farnen, aus denen die
braunen Stämme gigantischer Zedern ragten. Die Espen
standen teilweise schon im Schmuck weiß-silberner Knospen,
und hier und dort war auch schon ein Rhododendron
aufgeblüht.
»Willst du deine Schulden gleich bezahlen oder erst am
Ziel?«
»Ich warte noch ein bißchen«, lächelte Elaine. »Vielleicht
stoßen wir doch noch auf ein paar Regenwolken. Und ein
einziger Tropfen genügt, um mich gewinnen zu lassen.«
Brad warf einen Blick auf den strahlend blauen Himmel und
grinste. »Keine Chance!« Dann schwenkte sein Blick wieder
auf den Rückspiegel, den er während der letzten dreieinhalb
Stunden kaum aus den Augen gelassen hatte. Zufrieden stellte
er fest, daß der Möbelwagen ihnen dichtauf folgte. »Kaum zu
glauben, was alles in so einen Wagen reinpaßt«, meinte er.
»Kaum zu glauben, wieviel wir mitschleppen«, erwiderte
Elaine noch immer lächelnd. »Soweit ich mich erinnere, haben
wir doch möbliert gemietet…«
Brad zuckte gleichgültig mit den Schultern, als ob ihn das
nichts anginge. Doch er war es gewesen, der immer neue Dinge
herbeigeschleppt und zum übrigen gestellt hatte. Zuerst waren
es sein Schreibtisch und der dazugehörende Stuhl, dann ein
alter ledergepolsterter Clubsessel, der nach Elaines Meinung
vortrefflich zu ihrer neuen Bleibe paßte, da er genauso
heruntergekommen war. Doch er hatte ihre Proteste einfach
ignoriert.
Erst als er auch noch den Fernseher und die Stereoanlage
mitnehmen wollte, wurde sie energisch und erinnerte ihn daran,
daß sie ohne Strom wohl etwas überflüssig wären.
Als sie dann alles verladen hatten, war der riesige
Möbelwagen fast voll und ihr Abstellraum im Untergeschoß so
gut wie leer. Immerhin kamen sie so voll auf ihre Kosten,
verteidigte sich Brad grinsend, denn der Möbelwagen war nicht
gerade billig gewesen.
Und dann umrundeten sie die letzte Kurve vor Clark’s
Harbor. Vor sich sahen sie die Einmündung der Harbor Road
und gleich dahinter Glens Galerie.
»Halten wir kurz bei Glen?« fragte Elaine, während Brad
den Fuß vom Gaspedal nahm.
»Ich dachte, ich
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