.Am Vorabend der Ewigkeit
des Waldes.
Schließlich zögerte die vorkletternde Fruchtschale. Seitwärts begann ein horizontaler Astweg, kaum sichtbar und nicht breit.
»Ich fürchte mich, weiter in die Tiefe zu steigen«, sagte Poyly, die in einer der grünen Schalen steckte. Gren setzte sich neben sie auf den Ast, den Rücken gegen den Hauptstamm gelehnt.
»Wir müssen dahin gehen, wohin uns die Morchel leitet«, sagte er. »Ihre Weisheit ist größer als die unsere. Außerdem haben wir die Spuren einer Gruppe gefunden. Wir müssen sie finden. Allein können wir im Wald nicht überleben.«
Seit sie das Niemandsland verlassen hatten, vor einigen Schlafperioden, hatte Poylys Mut nachgelassen.
»Wir hätten uns um Toy und die anderen mehr kümmern müssen, Gren. Es wäre leicht gewesen, ihren Spuren zu folgen.«
»Das Feuer gefährdete uns. Außerdem weißt du genauso gut wie ich, daß Toy uns nie mehr aufgenommen hätte. Sie hatte nicht einmal Verständnis für dich, ihre beste Freundin.«
»Müssen wir wirklich weiterwandern?« fragte sie nach einer kurzen Pause mit verzagter Stimme. Wie immer in solchen Situationen gab die Morchel die Antwort.
»Ja, Poyly und Gren, ihr müßt weiter. Das ist mein Rat, und ich bin stärker und klüger als ihr.«
Die Stimme war lautlos in ihren Gehirnen, aber sie hatten sich an sie gewöhnt. Es war, als spräche sie direkt zu ihnen – laut und deutlich.
»Ich habe euch in Sicherheit gebracht«, fuhr die Morchel fort, »und ich werde immer für eure Sicherheit sorgen. War ich es nicht, die euch riet, die Fruchtschalen zur Tarnung anzulegen? Haben sie euch nicht beschützt? Na also, sie werden es auch in Zukunft. Vor euch wartet Friede und ein glückliches Leben.«
»Wir müssen ausruhen«, sagte Gren.
»Ruht, aber dann geht es weiter. Wir haben die Spuren von Menschen entdeckt, und wir müssen diese Menschen finden.«
Sie gehorchten der Stimme und versuchten zu schlafen. Die harten Fruchtschalen hinderten sie daran, sich niederzulegen, also blieben sie sitzen.
Die Morchel schlief nie. Ihre Gedanken waren wie ein immer vorhandenes Hintergrundgeräusch. Alle Pflanzen hatten sich spezialisiert, um überleben zu können. Nur die Morchel hatte eine beachtliche Intelligenz entwickelt, mit deren Hilfe sie planen, sich bewegen und für die Fortpflanzung sorgen konnte. Die Morchel, die Gren und Poyly übernommen hatte, hatte sich teilen müssen. Sie spürte keine nachteilige Wirkung. Sie war eins und doch zweifach vorhanden. In den Gehirnen der Menschen hatte sie das Generationsgedächtnis entdeckt und zog wertvolle Informationen daraus hervor. Informationen, die den Menschen unbekannt waren.
So kam es, daß die Morchel seit Millionen von Jahren das erste Geschöpf wurde, das in die Lage versetzt wurde, in die Vergangenheit zurückblicken zu können. Sie konnte es nur, weil sie der Partner von Gren und Poyly geworden war, die zwar die Vergangenheit im Unterbewußtsein mit sich trugen, sie aber nicht zu deuten verstanden. Erst die Symbiose schuf das Wunder.
Nach dem Erwachen fragte Poyly:
»Wie soll die Morchel uns vor den Gefahren des Waldbodens schützen? Wie vor Mordschlangen und Tropflippen?«
»Die Morchel weiß manches. Die Morchel weiß Rat. Und wenn wir erst zu Menschen stoßen, werden wir sicher sein.«
»Wir müssen weiter«, sagte die Morchel.
Gren und Poyly verspürten keine große Lust dazu, aber die Morchel trieb sie an. Nicht gewaltsam, sondern mit sanftem Druck.
Sie wollte sie nicht verärgern oder ängstlich machen, denn sie benötigte ihre Mitarbeit. Ihr eigentliches Ziel schwebte ihr nur verschwommen vor. Irgendwie sah sie sich als künftige Beherrscherin der Erde. Überall sollte nur die Morchel wachsen, getragen von der menschlichen Rasse.
Sie stiegen wieder ein Stück des Stammes empor, dann ging es waagerecht auf einem Ast weiter. Sie kreuzten den Pfad emsiger Käferblätter. Andere Kreaturen waren jedoch nicht so harmlos und sie gingen ihnen rechtzeitig aus dem Weg. Hin und wieder fanden sie Hinweise, einen Stock, einfach in einen Spalt geschoben, eine Kerbe in einem Ast oder einen gebrochenen Zweig. Es waren die Spuren, wie Menschen sie hinterließen. Sie folgten ihnen.
Um sie herum war Schweigen. Der Wald hatte nur wenig Geräusche. Auch Gren und Poyly waren schweigsam. In stummer Verbissenheit folgten sie den Spuren, bis sie endlich weit vor sich eine Bewegung in den Blättern sahen.
Es war ein Mensch, ein Mädchen mit langen Haaren. Sie sprang von einem Ast in einen
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