.Am Vorabend der Ewigkeit
verbreitete Kälte und Nässe.
Yattmur hielt einige der Kristalle auf der Hand. Sie wurden schnell kleiner und hinterließen nur ein Tröpfchen Wasser auf der Haut. Yattmur sah erstaunt hoch, und dann erblickte sie die weiße Wand vor dem Bug des Bootes.
»Ein Nebelberg!« rief sie erschrocken und entsann sich, daß sie heute schon mehrmals diese treibenden Phantome gesehen hatte. Nun hatten sie eins gerammt.
Gren hatte das Leck sofort gesehen. Er sprang auf und inspizierte es. Wasser drang ins Boot. Er beugte sich über Bord und untersuchte die Ursache.
Die warme Strömung hatte sie in die Bucht des schwimmenden Berges getrieben. Die Küste schien aus Glas zu bestehen und war hart. Ein Riff hatte das Boot aufgeschlitzt, und nur die Tatsache, daß es bereits auf Grund saß, verhinderte sein sofortiges Sinken.
»Wir gehen nicht unter«, erklärte er, als er Yattmurs besorgtes Gesicht sah. »Wir sitzen fest. Aber das Boot ist unbrauchbar geworden.«
»Was nun?« Yattmur starrte Gren an. »Wir wären vielleicht doch besser auf der Insel geblieben.«
Gren sah sich um. Über ihm hingen gläserne Zapfen herab. Manchmal löste sich einer und fiel ins Wasser. Die Spritzer waren kalt.
»Die Ungeheuer des Eises werden uns fressen«, sagte einer der Fischer. »Wir werden ertrinken oder erfrieren.«
»Eis!« rief Yattmur aus und klatschte in die Hände. »Merkwürdig, daß die dummen Fischer es uns sagen müssen. Man nennt dieses Glas Eis! Ich kenne es vom Fluß her. Dort wuchsen Blumen, die Eis herstellten, um ihre Samen aufzubewahren und frisch zu halten. Als Kinder sind wir oft hingegangen, denn die Eisperlen schmeckten gut und kühl.«
»Diese Eisperle ist zu groß«, erwiderte Gren. »Sie wird uns verschlucken. Nun, Morchel, was rätst du uns nun?«
»Wir sind nicht in Sicherheit, also müssen wir versuchen, in Sicherheit zu gelangen. Wenn das Boot vom Eis abrutscht, wird es sinken. Steigt also ans Ufer und nehmt die Fischer mit euch. Sie können nicht schwimmen.«
Obwohl das halbe Boot schon unter Wasser stand, fiel es Gren schwer, die Fischer herauszubringen. Die haarigen Burschen weigerten sich entschieden und bangten um ihr Leben. Einer machte eine zu hastige Bewegung und fiel über Bord. Hilflos planschte er in dem eiskalten Wasser und wäre ertrunken, wenn Gren ihm nicht nachgesprungen wäre. Als sie dann beide in dem knietiefen Wasser der Eishöhle standen, verließen auch Yattmur und die drei anderen Fischer das Boot. Sie wateten durch das Wasser, bis der Boden trocken wurde.
Dann war draußen ein Geräusch. Sie drehten sich um. Von der Decke der Höhle lösten sich einige schwere Zapfen und stürzten in die Bucht. Einer von ihnen traf das Boot im Heckteil, durchschlug es und zersplitterte die Seitenwände. Langsam rutschte das Boot ab und geriet in tiefes Wasser. Es begann sofort zu sinken.
Damit waren sie endgültig auf dem Eisberg gestrandet.
18
Der Nebel war lichter geworden. Die Sonne wurde wieder sichtbar, aber ihre Strahlen wärmten nicht. Immerhin erhellten sie das Innere der Höhle, von deren Hintergrund aus ein Tunnel schräg nach oben führte.
Gren stieg voran. Yattmur und die Fischer folgten ihm. Der Boden war glatt und schlüpfrig. Es wurde niemals völlig dunkel, denn von oben fiel Licht ein.
»Es wäre besser gewesen, wir wären mit dem Boot im großen Wasser versunken«, sagte Yattmur hoffnungslos. »Hat der Gang ein Ende?«
»Leider ja«, erwiderte Gren. »Hier geht es nicht mehr weiter. Wir sind in der Höhle gefangen.«
Die Wand konnte nicht dick sein, denn das Tageslicht drang immer noch schwach hindurch. Riesige Zapfen hingen von der Decke herab, und Gren griff nach einem und versuchte, ihn abzubrechen.
In diesem Augenblick spürte er, wie der Boden unter ihm zu schwanken begann. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte. Yattmur und die anderen kamen ebenfalls zu Fall. Der bisherige Boden wurde zur Wand und umgekehrt. Gleichzeitig entstand ein Riß vor Gren. Licht flutete herein.
Er raffte sich auf und trat ins Freie. Seinen erstaunten Augen bot sich ein unerwartetes Bild. Der Eisberg war an Land getrieben worden, an eine Insel. Er schaukelte in einer Bucht und trieb auf das felsige Gestade zu. Sehr paradiesisch sah die Insel nicht aus, mit ihren Felsen und Eisbarrieren, aber sie zeigte auch Spuren einer bescheidenen und daher ungefährlichen Vegetation. Ja, dachte Gren, hier würden sie bleiben können. Man würde endlich wieder etwas anderes als Fisch essen können.
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