.Am Vorabend der Ewigkeit
steinigen Ausbuchtung. Dann erst kehrte sie zu dem Trägerparasiten zurück.
Sodal saß noch auf seinem Stein. Ein merkwürdiges Licht umgab ihn. Erwartungsvoll sah er in Richtung der verborgenen Sonne. Yattmur setzte die beiden Schüsseln ab und sah in die gleiche Richtung.
Die Wolken begannen sich zu teilen. Die Sonne schimmerte durch. Sie schien ihre Form verändert zu haben, denn so flach hatte Yattmur das Gestirn noch nie gesehen. Aber es war nicht nur allein die Form, die sie beunruhigte. Die Sonne schien Flügel bekommen zu haben. Ein roter Feuerstreifen ging von ihr aus und reichte weit in den Raum hinein.
»Die Sonne – sie will davonfliegen!« rief Yattmur erschrocken aus.
»Noch sind wir alle sicher«, sagte Sodal. »Ich habe es vorausgesehen, keine Angst. Willst du mir nun deine Schüsseln bringen, damit ich essen kann? Dann erzähle ich dir von den Flammen, die eines Tages unsere Welt verzehren werden. Vielleicht verstehst du dann, was ich meine.«
Immer noch starrte sie in Richtung der deformierten Sonne. Der Sturm war weitergezogen und tobte nun im Reich des großen immergrünen Waldes. Die Wolken färbten sich purpurn.
Als Sodal ein zweites Mal rief, nahm sie die beiden Schüsseln wieder auf und stellte sie auf den Stein, auf dem der Parasit saß.
Genau in diesem Augenblick verschwand wieder eine der beiden Frauen.
Es war so wie schon einmal vorher. Für Sekunden stand ihre Gestalt in unklaren Umrissen und halb durchsichtig da, ehe sie ganz unsichtbar wurde. Kurze Zeit darauf kam sie wieder, nahm Formen an und war schließlich erneut vollständig vorhanden. Sie winkte der anderen Frau zu. Diese sagte einige unverständliche Sätze in einer unbekannten Sprache.
Sodal wandte sich Yattmur zu.
»Dein Glück, daß du das Essen nicht vergiftet hast. Ich werde es also zu mir nehmen.«
Eine der Frauen kam herbei und nahm die Schüssel. Sie begann den hilflosen Sodal zu füttern. Ganze Brocken stopfte sie ihm in das breite Fischmaul, und der Trägerparasit schluckte geräuschvoll die Reste, die von den Dickpelzen übriggelassen worden waren.
Als er damit fertig war, trank er das Wasser.
»Wer seid ihr nur?« fragte Yattmur, als die Schüsseln fast leer waren. »Woher kommt ihr? Wie kann die eine Frau verschwinden und unsichtbar werden?«
Satt und zufrieden erwiderte Sodal:
»Einiges kann ich dir vielleicht erzählen. Diese eine Frau kann verschwinden, wie du es nennst, wann immer sie will. Ich werde später versuchen, es dir zu erklären.« Yattmur bemerkte, daß er einige Reste in den Schüsseln zurückgelassen hatte. Die Frauen aßen sie und gaben auch dem erbarmungswürdigen Träger davon ab, dessen Hände wie festgenagelt um den eigenen Hals lagen. Er war genauso hilflos wie Sodal. »Nun kannst du mir deine Geschichte erzählen. Vielleicht kann ich dir helfen. Wisse, daß ich von der weisesten Rasse abstamme, die von unserer Welt hervorgebracht wurde. Wir hatten einstmals den Ozean erobert, und nun beherrschen wir auch das Land. Ich bin Sodal Ye, der Prophet, und ich werde dir helfen, wenn ich es für notwendig erachte.«
»Du bist sehr stolz«, sagte Yattmur.
»Was bedeutet Stolz, wenn der Untergang der Welt gewiß ist? Beginne mit deiner Erzählung, damit ich eine Entscheidung fällen kann.«
24
Es ging Yattmur in erster Linie darum, Sodal das Problem »Gren und die Morchel« nahezubringen, aber sie war keine geschickte Erzählerin. Der Einfachheit halber schilderte sie daher nur ihre eigene Lebensgeschichte. Sie berichtete von ihrer Jugend bei den Hirten am Rande des Großen Mundes, von der Ankunft Grens und Poylys, ihrer Flucht mit den Fischern, Poylys Tod, der Fahrt über das Meer und schließlich ihrer Wanderschaft auf dem Stelzer bis zu diesem Gebirge. Zum Schluß erwähnte sie Gren und die Morchel und deren Verlangen, das Kind zu besitzen.
Während Yattmur sprach, lag Sodal scheinbar uninteressiert auf seinem Stein und betrachtete das Firmament. Seine breite Unterlippe hing soweit herab, daß der rosa Rand um seine Zahnreihen deutlich sichtbar wurde. Neben dem Felsen lagen die beiden Frauen im Gras. Neben ihnen stand, immer noch gebeugt wie von einer unsichtbaren Last, der Träger.
Als Yattmur schwieg, sagte Sodal:
»Was du zu berichten hast, ist nicht ohne Interesse für mich. Ich habe schon viele Einzelheiten über so unwichtige Lebensformen gehört, wie du eine darstellst, und ich vergleiche sie miteinander, ich analysiere sie und erhalte so ein naturgetreues Bild der
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