Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
entkommen?«, fragte Greene, als sie im Aufzug standen.
»Das wissen wir noch nicht genau. Wir haben fünf Leichen gefunden. Drei davon haben wir identifiziert: den Pfleger, der an dem Tisch vor dem Aufzug saß, den Polizisten und den zweiten Pfleger, die vor Cardonis Zimmer gefunden wurden. Ab dann wird's komisch. In Cardonis Zimmer liegen zwei tote Männer. Einer wurde erschossen, als er durch die Tür kam. Er war angezogen wie ein Arzt, aber er hatte eine Pistole mit Schalldämpfer in der Hand. Die Techniker glauben, dass es die Waffe ist, mit der der Polizist und die beiden Pfleger erschossen wurden. Der zweite Mann wurde mit einer zugespitzten Sprungfeder getötet, die Cardoni aus der Matratze seines Betts herausgebrochen hatte. Dieser zweite Mann trägt nur Unterwäsche, und Cardonis Krankenhaushemd fanden wir auf dem Boden. Wir nehmen an, dass der Chirurg die Kleidung des Toten trägt.«
»War der Kerl ein Arzt?«
»Das wissen wir noch nicht, aber keiner der Ärzte hatte eine Visite bei Cardoni geplant, und niemand aus dem Krankenhaus konnte die beiden identifizieren.«
Die Aufzugtüren gingen auf. McCarthy zog zwei Becher Kaffee aus einem Automaten, während Greene sich in der leeren Cafeteria an einen Tisch setzte.
»Eins ist noch interessant«, sagte McCarthy dem Staatsanwalt, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte. »Cardoni hatte gestern Nachmittag Besuch: Amanda Jaffe.«
»Was wollte sie denn bei Cardoni?«
»Ihre Kanzlei verteidigte ihn bei dem Prozess in Milton County. Vielleicht will er, dass sie auch jetzt seine Verteidigung übernimmt.«
»Das können die Jaffes unmöglich tun«, sagte Mike. »Sie ist eine Zeugin, und Cardoni hat eine Mandantin der Kanzlei ermordet. Das ist ein eindeutiger Interessenskonflikt. Haben Sie schon mit ihr gesprochen?«
»Ich habe in ihrer Wohnung angerufen, es meldete sich aber nur der Anrufbeantworter.«
»Schicken Sie jemanden hin! Das ist zwar nur ein Schuss ins Blaue, aber vielleicht hat er etwas zu Amanda gesagt, das uns einen Anhaltspunkt gibt, wohin er verschwunden sein könnte.«
Bevor McCarthy etwas erwidern konnte, kam sein Partner Alex DeVore in die Cafeteria.
»Wir haben die zwei Männer in Cardonis Zimmer identifiziert«, sagte er. »Dimitri Novikov und Igor Timoshenko, Russenmafia aus Seattle.«
»Was hatten die denn hier bei uns zu suchen?«, fragte McCarthy.
»Erinnern Sie sich noch an die Kolumbianer, die vor zwei Jahren gegen Martin Breach vorgehen wollten?«
»Mir vergeht immer noch der Appetit, wenn ich an den Tatort denke«, sagte Greene.
»Angeblich hatte Novikov da seine Finger im Spiel.«
»Sie glauben also, dass Breach sich Leute von auswärts geholt hat, um Cardoni umlegen zu lassen?«
»Breach verzeiht nichts und er vergisst nichts«, entgegnete McCarthy.
Mike Greenes Piepser meldete sich. Er sah kurz die Nummer auf dem Display an, zog dann sein Handy aus der Tasche und wählte sofort.
»Amanda? Mike hier.“
»Wir müssen reden.« Sie klang aufgeregt, fast so, als würde sie weinen.
»Im Augenblick kann ich nicht. Ich bin im St. Francis. Cardoni ist geflohen.«
»Was! Wie?«
»Das wissen wir noch nicht genau.«
»Wir müssen trotzdem reden. Bitte! Was ich zu sagen habe, ist vielleicht wichtiger als die Flucht.«
»Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
»Es besteht die Möglichkeit, dass Vincent Cardoni unschuldig ist.«
»Also kommen Sie, Amanda! Cardoni hat Justine Castle doch fast vor Ihren Augen ermordet. Und wir haben hier fünf Leichen. Der Mann ist ein wahnsinniger Mörder.«
»Hören Sie mir gut zu, Mike! Bevor ein Patient operiert wird, nimmt das Krankenhaus eine Blutprobe. Sie müssen herausfinden, ob in Cardonis Probe Spuren von Sedativa, Narkotika oder Tranquilizern gefunden wurden. Wenn sein Blut noch nicht auf diese Substanzen untersucht wurde, will ich, dass Sie den Test machen lassen und mir das Ergebnis sagen. Wenn die Testergebnisse so sind, wie ich glaube, dann werden Sie Ihre Meinung ändern.«
62
Sean McCarthy und Alex DeVore folgten Mike Greene in das Konferenzzimmer im Büro des Bezirksstaatsanwalts. Greene schaute Amanda Jaffe überrascht an. Sie saß zusammengesunken da, ihr Gesicht war aschfahl.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er und setzte sich neben sie. Als Amanda antwortete, hatte er Mühe, sie zu verstehen.
»Man hat uns alle zum Narren gehalten.« Ihre Stimme versagte, und sie hielt inne, bis sie die Fassung wiedergewonnen hatte. Mike befürchtete fast, sie
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