Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
führte. Es ging sehr schnell in die Höhe. Tief hängende Wolken verhüllten die Gipfel der hohen grünen Vorberge, Schnee lag in der Luft. Auf der Nordseite der Straße war durch eine Lücke in den hoch aufragenden Nadelbäumen ein Wildbach zu sehen, dessen kaltes klares Wasser über glatt polierte Steine in die Tiefe stürzte. An der Südseite verlief die Straße entlang eines Flusses, der manchmal weiß aufschäumte und an anderen Stellen träge dahinfloss.
Solange Mickey Parks verdeckt ermittelt hatte, war Vasquez der einzige Mensch, mit dem er ohne Angst, sich aufzugeben, reden konnte. Er hatte Vasquez seine Ängste und Hoffnungen anvertraut, als wäre Bobby ein Priester in einem Beichtstuhl, und mit der Zeit hatte Vasquez den naiven, engagierten Polizisten lieb gewonnen und sogar bewundert. Parks' Tod hatte Vasquez schwer getroffen. Prochaskas Weigerung, den anonymen Hinweis zu bestätigen, hatte Vasquez nur noch entschlossener gemacht, Parks' Mörder aufzuspüren und Breach zur Strecke zu bringen.
Ein schmaler Feldweg führte von der Straße zur Hütte. Dichte Reihen hoch aufragender Bäume schluckten das letzte Licht der untergehenden Sonne, und die Zufahrt lag in tiefem Schatten. Nach einer viertel Meile erfassten die Scheinwerfer ein modernes Haus aus roh gehaltenen Zedernstämmen mit hohen Panoramafenstern und jeweils einer breiten Terrasse an der Nord- und Westseite. Ein steinerner Kamin an der Ostseite des Hauses überragte das spitzgiebelige Schindeldach. Vasquez fragte sich, wie viel Cardonis Hütte wohl gekostet hatte. Auch vor seiner Scheidung hatte der Polizist sich gerade mal ein Haus leisten können, das halb so groß war wie dieses.
Er stellte sein Auto so ab, dass der Kühler in Richtung Straße zeigte. Er zog Gummihandschuhe an und näherte sich der Hütte. In diesem Gebirgsdorf gab es so gut wie keine Kriminalität, und das Haus hatte keine Alarmanlage. Vasquez war sich klar, dass er illegal in dieses Haus eindrang, aber er musste wissen, ob Cardoni hier wirklich zwei Kilo Kokain versteckt hatte. Wenn er den Stoff fand, würde er wieder gehen und sich überlegen, wie er sich einen Durchsuchungsbefehl verschaffen konnte. Es war auch möglich, Cardoni zu beschatten und zu versuchen, ihn beim Verkauf zu ertappen. Im Augenblick wollte er nur herausfinden, ob er einer falschen Fährte folgte oder einer echten Spur.
Vasquez stellte den Kragen gegen den kalten Wind hoch und ging um das Haus herum, um alle Türen auszuprobieren, weil er es möglichst vermeiden wollte, gewaltsam in das Haus einzudringen. Er hatte Glück, denn eine kleine Tür auf der Rückseite der Garage ging auf, als er am Knauf drehte. Vasquez schaltete das Licht an und sah sich um. Die Garage wirkte unbenutzt. An den Wänden hingen keine Werkzeuge, er sah auch keine Gartenmöbel oder irgendwelchen herumliegenden Kram. Er fand auch kein Kokain, aber an einem Haken immerhin einen Schlüssel für das Haus. Augenblicke später stand er in einer Diele im Untergeschoss am Fuß einer Treppe.
Oben befand sich ein Wohnzimmer mit einer Glaswand, die einen Panoramablick auf den Wald bot. Am Rand von Vasquez' Gesichtsfeld bewegte sich etwas, und er griff nach seiner Waffe, doch dann erkannte er, dass es nur ein Reh gewesen war, das in den Wald lief. Er atmete aus und schaltete das Licht ein. Er hatte keine Angst, entdeckt zu werden. Cardonis nächste Nachbarn wohnten eine halbe Meile entfernt.
Das Wohnzimmer war karg eingerichtet, die Möbel waren billig und wirkten in einem so teuren Haus unangemessen. Vasquez fiel auf, dass nirgends Staub oder Schmutz zu sehen war, als wäre das Zimmer erst vor kurzem geputzt worden. In den Schränken fand er Teller und Tassen aus Plastik, in den Schubladen ein paar wild zusammengewürfelte Kochutensilien. Ein Keramikbecher halb voll mit kaltem Kaffee stand auf dem Abtropfblech neben dem Spülbecken. Außerdem entdeckte er eine Kaffeekanne, in der noch ein Rest Kaffee war. Er berührte die Kanne. Sie war kalt.
Das Schlafzimmer wirkte ähnlich unbewohnt. Vasquez sah ein leeres Bücherregal, einen Holzstuhl mit gerader Lehne und auf dem Boden eine billige Matratze. Über die Matratze war kein Laken gebreitet, aber er entdeckte mehrere eingetrocknete braune Flecken, die aussahen wie Blut. Vasquez durchsuchte die Wandschränke und das angrenzende Badezimmer. Dann nahm er sich die anderen Zimmer auf dieser Etage vor. Doch je länger er suchte, desto unbehaglicher fühlte er sich. Ein so trostlos
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