Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
aufgeräumtes Haus hatte er noch nie gesehen. Bis auf den Keramikbecher und die Kaffeekanne war nirgendwo eine Spur von Leben zu entdecken.
Anschließend kehrte Vasquez ins Untergeschoss zurück. Von der Diele gingen vier Türen ab, eine war mit einem Vorhängeschloss verschlossen. Vasquez durchsuchte die ersten drei Zimmer. Sie waren alle leer und frei von Staub oder Schmutz.
Nun wandte er sich der Tür mit dem Vorhängeschloss zu. Er hatte einen Satz Dietriche bei sich, und kurz darauf stand er in einem langen, schmalen Raum mit Wänden und Böden aus nacktem grauem Beton. Ein schwacher, unangenehmer Geruch hing in der Luft. Vasquez sah sich um. In einer Ecke befand sich ein Waschbecken, in der anderen ein Kühlschrank. Dazwischen stand, in der Mitte des Raums, ein Operationstisch. An der gepolsterten Liegefläche waren Lederriemen befestigt, mit denen man Arme, Beine und Kopf eines Menschen fixieren konnte. Ein Metalltablett für chirurgische Instrumente bei einer Operation war völlig leer.
Der Detective sah sich nun den Boden in der Umgebung des Operationstisches genauer an und entdeckte mehrere Blutflecken. Als er sich hinkniete, um das Blut eingehender zu untersuchen, fiel sein Blick auf einen Gegenstand unter dem Tisch. Es war ein Skalpell. Vasquez hob es behutsam auf und untersuchte es. Auf Klinge und Griff entdeckte er Blutspritzer. Er legte es vorsichtig auf das Tablett und ging zu dem Kühlschrank.
Vasquez zog am Griff. Die Tür klemmte kurz, ging dann aber auf. Der Detective riss die Augen auf und ließ den Griff los, als hätte er sich die Finger verbrannt. Die Kühlschranktür fiel wieder zu, und er musste sich sehr zusammennehmen, um nicht aus dem Zimmer zu stürzen. Er atmete tief durch und öffnete die Tür noch einmal. Im obersten Fach standen zwei Glasgefäße mit Schraubverschluss und der Aufschrift Viaspan . Eine klare, leicht gelbliche Flüssigkeit befand sich in den Gläsern. Im unteren Fach entdeckte er eine Plastiktüte mit einem weißen Pulver. Keine zwei Kilo. Bei weitem nicht. Tage später sollte er aus dem Forensiklabor erfahren, dass es sich bei dem Pulver tatsächlich um Kokain handelte. Doch da konnte er sich kaum noch daran erinnern, dass es bei den Ermittlungen gegen Dr. Vincent Cardoni ursprünglich um Kokain gegangen war. Was Bobby Vasquez für den Rest seines Lebens nicht vergessen würde, waren die toten Augen, die ihn aus den beiden abgetrennten Köpfen im mittleren Fach des Kühlschranks anstarrten.
11
Clark Mills, der Sheriff von Milton County, ein Mann mit schweren Lidern, struppigen Haaren und einem dichten Schnurrbart, kämpfte tapfer um Fassung, als Vasquez ihm die abgetrennten Köpfe zeigte. Beide gehörten weißen Frauen. Der eine war oval und mit blonden, von der extremen Kälte steifen und strähnigen Haaren bedeckt. Er lehnte an der Seitenwand des Kühlschranks wie ein Requisit aus einem Horrorfilm. Der zweite hatte brünette Haare und lehnte am ersten. Die Augen in beiden Schädeln waren so nach oben verdreht, dass die Pupillen fast nicht mehr zu sehen waren. Die Haut sah aus wie eine bleiche Gummimischung, die ein Special-Effects-Künstler geschaffen hatte, und war an den Schnitträndern am Hals ausgefranst und wellig.
Jake Mullins, Mills' Stellvertreter, hatte einige Sekunden lang heftig geblinzelt, bevor er aus dem Zimmer stürzte. Der Mensch, dem das Grauen im Kühlschrank am wenigsten auszumachen schien, war Fred Scofield, der Bezirksstaatsanwalt von Milton County. Scofield, ein schwerer Mann am Rande der Fettsucht, war in Vietnam und danach Staatsanwalt in einer Großstadt gewesen, bevor ihm der Stress zu viel gewesen war und er sich in den Frieden und die Abgeschiedenheit des Bergorts Cedar City zurückgezogen hatte.
»Was sollen wir tun, Fred?«, fragte der Sheriff.
Scofield kaute auf einer unangezündeten Zigarre herum und betrachtete leidenschaftslos die beiden Köpfe. Dann drehte er dem Kühlschrank den Rücken zu und antwortete dem erschütterten Sheriff.
»Ich denke, wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden, damit wir am Tatort nichts durcheinander bringen.
Dann sollten Sie sich ans Funkgerät setzen und Staatspolizei und Spurensicherung alarmieren. Die sollen so schnell wie möglich kommen.«
Sie stießen auf den Stellvertreter, der so bleich war wie die Köpfe im Kühlschrank. Während Mills die Staatspolizei anrief und sein Stellvertreter sich auf die Couch im Wohnzimmer fallen ließ, führte Scofield Bobby Vasquez nach
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