Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
Drahtkleiderbügel denn wie Knochen. Vasquez hätte gern etwas getan, um die Toten zu trösten, etwa die Erdklumpen weggewischt, die an ihrer bleichen Haut klebten, oder eine Decke über sie gelegt, um sie zu wärmen, doch nichts davon würde ihnen jetzt noch helfen.
Nachdem Dr. Grace geendet hatte, ging McCarthy die aufgereihten Leichen ab. Vasquez beobachtete ihn bei seiner Arbeit. Acht der Leichen untersuchte McCarthy nur flüchtig, doch neben den scheinbar unversehrten Mann mittleren Alters kauerte er sich hin und zog ein weiteres Polaroid aus seiner Jackentasche. McCarthy sah abwechselnd das Foto und die Leiche an und dachte dann einige Augenblick konzentriert nach. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, rief er die Leichenbeschauerin zu sich. Vasquez verstand nicht, was der Detective sagte, aber er sah, wie Dr. Grace sich neben die Leiche kauerte und den Nacken untersuchte. Sie winkte McCarthy, der sich neben sie kauerte und nickte, als sie auf eine Stelle am Nacken deutete und mit den Händen etwas beschrieb.
»Vielen Dank, Dr. Grace«, sagte McCarthy zu der Leichenbeschauerin und stand wieder auf.
»Wollen Sie uns ins Bild setzen?«, fragte Scofield, und man hörte deutlich, dass er Heimlichtuerei von Ermittlerkollegen absolut nicht schätzte.
McCarthy machte sich auf den Rückweg zum Haus. »Vor ungefähr einem Monat übermittelte mir ein Detective aus Montreal Informationen über einen kanadischen Millionär, der mit Martin Breach über ein auf dem Schwarzmarkt zu besorgendes Herz verhandelte. Wissen Sie, wer Breach ist?«
Scofield und Vasquez nickten.
»Wir hatten schon lange den Verdacht, dass Breach ein kleines, aber lukratives Nebengeschäft betreibt: den Verkauf von menschlichen Organen auf dem Schwarzmarkt an reiche Leute, die nicht bereit sind, auf einen Spender zu warten. Wir hatten außerdem den Verdacht, dass diese Organe häufig von unfreiwilligen Spendern stammten. Zur Ermittlung in Kanada gehörte auch das Abhören von Telefongesprächen. Dabei fiel öfter der Name Dr. Clifford Grant. Er war Chirurg am St. Francis Medical Center.« McCarthy zeigte ihnen das Foto, das er zuvor betrachtet hatte, und nickte dann in Richtung der Leichen. »Er ist das Opfer mittleren Alters, das keine Folterspuren aufweist.«
Scofield und Vasquez betrachteten das Foto, und die Männer gingen schweigend weiter. Als Scofield McCarthy das Foto zurückgab, fuhr der fort.
»Als wir erfuhren, dass Grant an der Beschaffung des Herzens beteiligt sein würde, ließen wir ihn rund um die Uhr bewachen. Er wurde beobachtet, wie er aus einem Schließfach im Busbahnhof eine Kühltasche holte und sie in den Kofferraum seines Autos stellte. Wenn diese Kühltasche das Herz enthielt, konnte Grant nicht derjenige gewesen sein, der es entnommen hatte. Zwischen der Entnahme eines Herzens und dem Einpflanzen in den Körper des Empfängers dürfen nicht mehr als vier bis sechs Stunden vergehen, und Grant war unter ständiger Beobachtung. Das bedeutete, dass Grant einer Partner haben musste.«
»Cardoni«, sagte Vasquez.
»Möglicherweise.«
Scofield zündete sich eine Zigarre an und nahm ein paar Züge. Der Rauch stieg in die Höhe und verteilte sich in der Luft.
»Ich war einer der Beamten, die Grant zu einem privaten Flugplatz folgten. Wir konnten beobachten, wie Art Prochaska, Martin Breachs Mann fürs Grobe, einen Aktenkoffer in Grants Auto legte. Grant sah uns und raste davon, bevor Prochaska die Kühltasche an sich nehmen konnte. Einige Tage später wurde Grants Auto auf dem Langzeitparkplatz des Flughafens entdeckt.«
»Und jetzt haben wir Grant und den Operationsraum gefunden, in dem die Organe entnommen wurden«, sagte Vasquez.
»Und da wir Grant hier gefunden haben«, ergänzte Scofield, »liegt die Vermutung nahe, dass ihn sein Partner umgebracht hat.«
Sie gingen schweigend weiter. In Sichtweite des Hauses legte Vasquez McCarthy die Hand auf den Arm.
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er. »Ich will Martin Breach und ich will Cardoni. Ich will Teil dieser Ermittlung sein. Ich habe diesen Fall ins Rollen gebracht. Und jetzt will ich nicht ausgeschlossen werden. Wie sehen Sie das?«
McCarthy nickte nachdenklich.
»Lassen Sie mich mit ein paar Leuten reden. Mal sehen, was ich tun kann.«
13
Frank Jaffe war ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler. Amandas Lieblingsanekdote war die Geschichte ihrer wundersamen Geburt, die Frank ihr zum ersten Mal an ihrem fünften Geburtstag bei einem Besuch
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