Amarilis (German Edition)
dass
sie sich einem Ort- und Nahrungswechsel zu unterwerfen hatten. Doch nur einer
bestimmten Spezies von Saurern war es möglich gewesen, dort nicht nur
kurzfristig zu überleben, sondern sich sogar noch zu vermehren und auszubreiten?
Die Funde aus den 20-ger und 50-ger Jahren dieses Jahrhunderts, die mein
Kollege bereits ansprach, und die ihn so verwunderten, haben jetzt eine
endgültige Erklärung gefunden. Aus den Mageninhalten wird bestätigt, dass
allein eine Pflanze dort gewachsen sein und sich bereits chemosynthetisch
perfekt den veränderten Bedingungen angepasst haben musste. Dieser Umstand
löste nicht nur sein Nahrungsproblem, sondern befreite ihn sogar noch von zwei
weiteren Schwierigkeiten, mit denen seine Artgenossen zu kämpfen hatten: die
Höhlen bewahrten ihn und die Pflanze nicht nur vor Wassermangel, da sie Teiche
und Flüsse geradezu einschlossen, sie schützten ihn auch vor der Abkühlung des
äußeren Klimas.«
In einem der Zimmer des Hauses, das dem Konferenzgebäude gegenüber
lag, legte ein unscheinbar aussehender Mann in grauer Kaschmirhose gerade mit
flinken Fingern den Lauf eines Gewehres zusammen. Dabei blickte er immer wieder
zu den hohen Fenstern des Saales hinüber. Direkt vor sich konnte er außerdem,
wenn er sich leicht vornüber beugte, eine kleine Parkanlage ausmachen, in der
sich eine Gruppe von Zedern und Ahornbäumen befand.
Steff war inzwischen kurz vor dem Abschluss. »Zu erwähnen
wäre noch, dass die Dinos in den Höhlen auch keine Feinde, wie die kleinen
Nager der Säugetiere oder die Raupen der Schmetterlinge, zu befürchten hatten.
Es bleiben jedoch einige Fragen nach der Evolution dieser Saurierart, die ich
ihnen beim besten Willen noch nicht beantworten kann. Hierbei möchte ich nur
die Wahrscheinlichkeit immer stärker vorherrschender Dunkelheit erwähnen, außerdem
die Fragen, wieweit die Saurier und die Pflanze später überhaupt noch auf
Wassernähe angewiesen waren, wie sie mit der zunehmenden Hitze im Erdinnern
fertig wurden und nicht zuletzt, auf welche Voraussetzungen die Pflanze ihren
chemosynthetischen Zyklus aufbauen konnte. In diesem Zusammenhang möchte ich
auf den gut erhaltenen Ornithischier hinweisen, der vor 20 Jahren in Holstein
gefunden wurde. Er ist etwa 40 Millionen Jahre alt und besitzt in Augenhöhe
eine einzige, aber dafür große Öffnung, in der ich den ehemaligen Sitz einer
speziellen Drüse vermute. Da es sich hierbei allerdings um ein Einzelexemplar
handelt, könnte es lediglich ein in den höheren Gängen verirrter Saurier sein.«
Er holte tief Luft und fuhr dann fort: »Ich glaube weiterhin, dass die Saurier
allgemein bei einer Verringerung der Körpergröße, einer plazentaartigen Geburt
und einem verfeinerten Nervensystem durchaus eine Überlebungschance hätten -
und vielleicht bis in unsere Zeit noch haben.«
Er konnte gegen das wiederholt aufkommende Raunen kaum noch ansprechen.
Mit aller Kraft und Selbstbeherrschung bat er erneut um Ruhe. Deshalb entging
ihm auch ein weiteres Mal das Gewehr, das sich jetzt langsam durch das Geäst
des Ahorns schob.
»Auch ich«, schrie er nahezu, »auch ich kann mir eine solche
Existenz kaum vorstellen. Wie hätte es möglich sein können, in von der
Erdoberfläche mittlerweile völlig abgetrennten Höhlen, in absoluter Dunkelheit
und ohne irgendeine noch so spärliche Nahrungsvielfalt zu leben, über Jahrmillionen
hinaus sich zu vermehren und mit der Zeit womöglich noch ein gewisses Maß an
Intelligenz zu entwickeln?«
Ein Zwischenrufer aus dem Saal war nicht mehr zurückzuhalten.
»Herr Maiger, sind vielleicht an den Positronen, gegenüber denen ihre Spezies
von Höhlensauriern wohl resistent zu sein scheint, möglicherweise alle anderen
Saurier eingegangen, so dass, nur wer überlebte, den Weg der Pflanze überhaupt
finden konnte?«
Steff überlegte. Dieser Umstand schien ihm nicht realistisch.
»Das glaube ich nicht, da dann ja alle anderen Tiere, Säuger und Vögel, Insekten
und Fische ebenfalls daran hätten sterben müssen. Eine traurige Hypothese,
weil dann als schlüssiger Gegenbeweis auch der Mensch nicht existieren dürfte.«
Im allgemeinen Gelächter schaute Steff über die anwesenden
Wissenschaftler hinweg und wie zufällig zu dem Fenster hin, in dem sich die
letzten Strahlen der untergehenden Sonne brachen. Er konnte aber nicht sehen,
wie ein Junge, der nicht viel älter als 17 Jahre sein mochte, in der Mitte des
Ahornbaumes einen
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