Amarilis (German Edition)
und in aller Gemütsruhe zum Ufer zurückschwammen.
Sie hatten sich alles gesagt.
Und derart herrschten die Verhältnisse am Vortag des Starts
der bi-3-Mission, dass ihre ursprüngliche Bedeutung nur noch den wissenschaftlichen
Begleitern von Wert zu sein schien. Alle anderen bauten um sie herum eine ihnen
genehme und nur ihren eigenen Interessen entsprechende zusätzliche Aura auf.
Eine Aura, die alles Menschliche mit dem Start des Raumschiffes hinter sich
ließ.
III
Die matte Beleuchtung des kleinen Raumes tauchte die Gegenstände
in eine angenehme Unaufdringlichkeit. Die sich abzeichnenden Konturen von Stuhl
und Tisch, deren Schatten über den Boden flossen, schienen ineinander
überzugehen. Die Wände waren leicht abgerundet und schlossen sich zu einer
Kuppel. Der seitlich eingelassene Schrank baute sich neben ihm auf.
Steff schloss die Augen. Trotz der extrem hohen
Geschwindigkeit bemerkte er keine Fortbewegung. Nicht einmal das leise Summen
der Photonentriebwerke war in der Kabine zu hören. Es herrschte absolute
Stille. Eine Ruhe, die ihn auf sich selber besinnen ließ inmitten der abstrakten
Einsamkeit der Sterne.
Doch dieser Eindruck entstand lediglich aufgrund der unendlichen
Weite des Weltalls. In Wirklichkeit hatten sie das Sonnensystem bereits hinter
sich gelassen und schossen mit 98%-iger Lichtgeschwindigkeit dahin. Denn der ausströmende
Photonenschub verfügte über den niedrigstmöglichen Masseausstoß.
Eine direkte Lichtgeschwindigkeit konnte nach wie vor nicht
erreicht werden, da sich bei 100%-iger Annäherung die Geschwindigkeiten nicht
mehr addierten. Eine weitere Energiezufuhr wurde nur noch auf die Masse der
Teilchen abgegeben. Dieser Umstand führte zum einen lediglich zu einer weiteren
Materiezerstrahlung, also einem größeren Verbrauch und zum anderen zu einer
gleichzeitigen Abbremsung durch erhöhten Masseausstoß.
Je schneller sie allerdings wurden, desto stärker verlangsamte
sich ihr eigener Lebensprozess. Im Augenblick hatten sie eine 5-fache Verzögerung
gegenüber den irdischen Maßstäben erreicht. Würden sie noch schneller fliegen,
könnten sie gegenüber einem anderen Zeitraum bis um das 22-fache länger Leben.
Doch gerade dieser Umstand war es, der eine weitere Erhöhung der
Geschwindigkeit nicht mehr angeraten sein ließ.
Steff rechnete nach. Ihre Reiseroute bestand darin, mehrere
außerordentlich massereiche Sterne anzufliegen, um den Hypersprung zu wagen.
Dadurch verkürzte sich die Dauer um Jahrmillionen. Ein angesichts ihres kurzen
Lebens sichtlich notwendiger Umstand. Bei einer subjektiven Flugdauer von ca.
Zwei Wochen blieb er inklusive Rückflug also einen Monat im All. Bei dieser
Berechnung musste er plötzlich grinsen. Wenn er zurückkam, war Meika fast ein
halbes Jahr älter geworden als er. Und diese Tatsache bedeutete, dass sie
beinahe auf den Tag genau gleichaltrig wurden. Er freute sich schon auf ihre
Reaktion. ‚Dann können wir ja zusammen Geburtstag feiern!’
Er stand auf und ging an das kleine Sichtfenster. Vor ihm
breitete sich die Schwärze des Weltraums aus. Nur vereinzelt sah er kleine
Punkte auf-leuchten, weit entfernte Sterne, die er noch nie gesehen hatte. Denn
sie waren jetzt in einem anderen Teil der Milchstraße, der sich näher zum Zentrum
befand. Selbst wenn ihm ein solcher Stern dem Namen nach bekannt vorkam, seine
Perspektive innerhalb des Universums war nun eine völlig andere.
Steff strich sich leicht über die Schläfe. Zwei von der Erde
aus gesehene Sterne standen nur scheinbar nebeneinander, in ihrer Leuchtkraft unterschieden.
Doch diese ungleiche Helligkeit bedeutete nicht, dass der eine kleiner war als
der andere. Es lag stets an ihrer räumlichen Distanz, die sie von einem
veränderten Beobachtungspunkt eine neue Position einnehmen ließ.
Er wandte sich ab. Die Gegenstände in seinem Zimmer reihten
sich gewohnheitsgemäß ein. Er empfand Erleichterung bei dem Anblick der eigenen
Ordnung. Auf dem Tisch vor ihm lagen sein Federhalter und ein Stoß Papiere.
Davor die kleine Statue eines Wassergottes aus dem frühen Afrika.
Voll der Erinnerungen setzte er sich hin. Er hatte dieses
etwa faustgroße Abbild auf seinem letzten Urlaub aus dem Kongodelta
mitgebracht. Vor hundert Jahren noch hatten die Menschen dort an die Existenz
einer übergeordneten Macht geglaubt. Mythen und Religion. Aber
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