Amarilis (German Edition)
verbissen, Dr. Maiger? Was glauben Sie?«
Steff überlegte einige Sekunden. »Äußerst schwer für mich, da
bei ihm eine Grenze zu ziehen, denn als Padrino habe ich ihn ja überhaupt nicht
gekannt.« Unwillkürlich strich er sich über die Nase. »Aber ich habe ihn erlebt,
als er sich entlarvt fühlte. Ich muss Ihnen sagen, dass ich es dabei ganz schön
mit der Angst zu tun bekam. Sie hätten mal seinen Gesichtsausdruck sehen
sollen. Voller Geringschätzung, kalt und beherrscht. Doch merkwürdigerweise,
ich muss zugeben, hat er sich dann, als sich der Tumult der Explosion gelegt
hatte, widerstandslos ergeben.«
Steff hielt die Handfläche an die Stirn gedrückt. Er suchte
nach den richtigen Worten. »Er schien mir die letzte Zeit ziemlich nervös und bedrückt
zu sein. Vielleicht ist seine spontane Reaktion aufgrund der Verzweiflung durch
seine Entdeckung auch noch erklärbar. Aber ich bin mir nicht mehr sicher,
wieweit er noch in vollem Besitz seines Verstandes war, als er mir seine
Theorie des unendlich begrenzten Universums vorführte.«
Professor Velutzkow nickte langsam. »Ich verstehe, was Sie
meinen. Nicht die Theorie selber ist es, die Sie beunruhigt hat. Jeder hat sich
irgendwo einmal in eine Ansicht verstiegen, die andere nicht akzeptieren können.
Sie wollen sagen, es war mehr der innere Krieg, den er mittels seiner Theorie
gegen den Kosmos führte, eine Art persönliche Feindschaft, die Sie dabei
irritiert.« Er hielt für einen Moment inne. »Ja, ich kann Sie verstehen. Der
Kampf eines einzelnen Menschen gegen das restliche Universum hat etwas durchaus
Wahnsinniges an sich.«
Er erhob sich und verabschiedete sich von Steff. »Lassen Sie
es gut sein, Dr. Maiger, und vergessen Sie diese Zwischenfälle am besten so
schnell wie möglich. Versuchen Sie sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren.«
Und im Hinausgehen schob er noch einmal seinen breiten Schädel durch den
Türspalt. »Und genießen Sie die Landung. Soviel ich weiß, beginnen die Bremsmanöver
in einer halben Stunde.«
Die Landung! Steff hatte sie vollkommen vergessen. Wenn die Bremsmanöver
ansetzten, durfte er sich nicht in seiner Kabine aufhalten. Dazu erhielt er
einen Sitz in der Mannschaftslogis, hatte wie beim Abheben im Schwenkarm eine
Ampulle gegen die Ohnmacht und verschiedene Sicherheitsvorrichtungen vor sich,
die eine Landung gerade der größeren Raumschiffe bei einer derartigen
Reisegeschwindigkeit vonnöten machte.
Denn je größer ein Flugkörper war, desto größer war auch die Masse,
die abgebremst werden musste. Bei den von den Santoganern erzielten Geschwindigkeiten
ein ungeheuer hoher Bremsschub, der nur mit einem Antigravsystem ausgeglichen werden
konnte. Trotzdem sie beim Anflug auf die Planeten ihre Höchstgeschwindigkeit
bereits erheblich reduziert hatten, betrug die Belastung der Zellen, Organe und
Epidermis über 20 g, dass es einen Menschen glatt zerrissen würde.
Eilig suchte Steff ein paar Sachen zusammen, die er während
der Ankunft bei sich haben wollte. Seine Uhr, eine Halskette mit einem Stern,
seine Kennkarte und noch ein paar Kleinigkeiten mehr. Vor dem Köfferchen in
seinem Schrank blieb er stehen. Bald war es soweit, dass er Sokuks Geheimnis
erfahren sollte.
Er hatte keiner Menschenseele etwas davon gesagt - außer
Meika natürlich - so dass er vor niemandem Angst haben brauchte beziehungsweise
sich verraten fühlen konnte. ‚Was wäre aber geschehen, wenn er Angelo etwas
davon erzählt hätte?’
Er überlegte, ob er den Koffer während der Landung an sich
nehmen sollte. Doch dann entschied er sich dagegen. Bislang war er nicht
aufgefallen, und je seltener er ihn bei sich trug, umso weniger würde er auch
weiterhin jemandem ins Auge springen.
Zuletzt ging er noch einmal zum Fenster. Hier hatte er fast
die schönsten Stunden verbracht - ein kaum zu beschreibendes Gefühl von Alleinsein
und Stärke. Vielen musste es ebenso gegangen sein, obwohl kaum darüber geredet
wurde. Einjeder hatte es mit sich selber auszumachen. ‚Außer Angelo einmal’,
fiel ihm ein. ‚Merkwürdigerweise hatte gerade er darüber zu reden begonnen,
bevor er sich dann wieder in die Wissenschaft zurückgezogen hatte. Was mochte
bloß die ganze Zeit in ihm vorgegangen sein? Vielleicht war unbeschreibliche
Angst in ihm hochgekommen, vielleicht aber hatte er das All auch als eine zu
starke Herausforderung gefühlt.’
Steff warf einen letzten Blick aus dem Fenster.
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