Amarilis (German Edition)
lassen, da sie
selbst nicht sterben wollen. Denn eine Auffüllung der Gittergeraden würde nicht
nur die Geburt und die Weiterentwicklung ihrer Rasse bedeuten, sondern irgendwann
auch ihren individuellen Tod. Die Evolution Santogas ist ihnen egal, wenn sie
nur unendlich ihren eigenen Zustand zu erhalten vermögen. Dafür sind sie sogar
bereit, über Leichen zu gehen, selbst eine andere Rasse, nämlich die Menschen,
auszulöschen, um die Entdeckung der Positronen zu sabotieren. Aber bislang
versuchen sie lediglich, die Menschen gegen die Santoganer aufzuhetzen, um eine
gemeinsame Aktionsbasis zu verhindern. Sie haben einen ihrer Führer zur Erde
geschickt, der augenblicklich die Position des Personaloffiziers auf Shan-Uccis
Raumschiff innehat. Sein Name ist Erolandar.«
Steff hatte laut vorgelesen, sodass nun alle Anwesenden
informiert waren. Bei den letzten Worten sprang Shan-Ucci auf. »Der ist es
also. Ich habe geahnt, dass wir einen Verräter in unserer Mannschaft haben.«
Zum ersten Mal sah ihn Steff aus der Fassung. Nur mit Mühe konnte sich der
Kapitän wieder beruhigen und setzte sich nach anfänglichem Zögern in seinen Sessel
zurück.
»Mir war um den Konflikt einiger unserer Rasse bekannt. Es
gibt immer häufiger Erscheinungen bei uns, die sich den alten, evolutionären Gesetzen
nicht mehr beugen wollen. Selbst bei mir bin ich nicht sicher, ob ich mich
nicht dazuzuzählen habe. Aber ich werde niemals einen Eingriff in unser Leben
machen, ohne das Wohl der ganzen Rasse, das aller Santoganer im Auge zu
behalten. Dieses hier aber«, und er wies in die Richtung des Zettels, »dieses
sind gemeine, egoistische Verräter, denn sie tun alles nur für ihr eigenes
Wohl, nicht zum Guten aller.« Er schaute zu Steff hinüber. »Es macht sich unter
ihnen ein Gedanke breit, den ich eigentlich erst bei den Menschen kennengelernt
habe. Ist es eine philosophische Richtung, eine Art Mode oder der Vorbehalt
weniger? Ich spreche von der Individualität. Ich begreife sie nicht. Wir sind
zwar auch jeder für sich da und tun das, was allein wir wollen, aber ohne das
Gefüge des Ganzen, die Struktur unsres Lebens, kann ich mir keine Handlung
vorstellen. Was ich tu, ist ein Teil meiner Welt, und wenn ich ihr Böses
widerfahren lasse, dann wird es zweifellos auf mich zurückfallen. Denn das Echo
meiner Worte, wie man bei uns sagt, werde ich auch zu hören bekommen.«
Steff wusste zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte.
Es war mehr eine Gefühlssache, die ihn einerseits Gefallen an Shan-Uccis Worten
finden ließ, andererseits ihn aber in ihrer Bedeutung befremdete. Die Menschen
auf der Erde lebten in ihrer Zivilisation, ihrer Gesellschaft auch miteinander,
waren in Beruf, Ernährung und Liebe aufeinander angewiesen. Aber in jedem von
ihnen bestand ein unabhängiger Wille, der ihn zu einem individuellen und zum
Teil auch einsamen Leben befähigte.
Er versuchte, seine Gedanken Shan-Ucci und den anderen so gut
es ging mitzuteilen, doch er war sich bewusst, dass es mehr brauchte, als nur
eine kleine Diskussion, um ihnen ein Verständnis für die menschliche Art zu
verleihen. ‚Vielleicht ist es sogar besser, sie nicht darüber hinaus von der
Vereinzelung menschlichen Lebens überzeugen zu wollen. Jede Rasse hat ihre
Bestimmung. Und in diesem Fall bestand das aktuelle Problem eher aus der
Eigenart der anderen.’
Deshalb verwies er auf einen weiteren, kleinen Passus, den er
auf der Rückseite des Zettels entdeckt hatte, und der in Handschrift wohl nachträglich
hinzugefügt worden sein musste.
»Ich habe gerade erfahren, Dr. Maiger, dass ein gewisser
Professor Schakmo in der Lage sein soll, die Positronen auf der Erde herstellen
zu können. Am besten fragen Sie Shan-Ucci über ihn. Er wird Ihnen sagen, dass
er mit dessen Mittelsmännern in Kaufverhandlungen steht. Dabei ist jedoch etwas
nicht in Ordnung, wovon ich bis jetzt leider noch keine Kenntnis habe. Aber
warnen Sie die Santoganer auf jeden Fall vor einem endgültigen Vertragsabschluss.
Sokuk.«
Shan-Ucci erklärte die letzten Zeilen. »Es ist richtig, dass
wir wegen der Möglichkeit der Herstellung auf der Erde in gewissen Verhandlungen
mit einem recht dubiosen Konzern stehen. Aber wir sind noch Meilen davon entfernt,
uns auf Vertragsbedingungen einzulassen, da wir selbst von der Zwielichtigkeit
der Umstände überzeugt sind.« Er erhob sich. »Den Namen und den Hersteller,
dieser Professor Schakmo, hören wir allerdings auch zum
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