Amber Rain
hen haben. „Es tut mir so leid. Ich habe mich verrechnet. Ich habe …“
Crispin dreht sich um. In einer einzigen, fließenden Bew e gung hat er den anderen am Revers gepackt und an die Wand gepresst. Der junge Mann muss auf die Zehenspitzen steigen, so fest umklammert ihn Crispin. Ihre Nasen sind dicht vore i nander. Das ganze Zimmer atmet Aggression. „Sie hat ihr S a feword gesagt!“ Das erste Mal, seit ich ihn kenne, höre ich Crispin laut werden. Ein Abbild streift mich von dem Jugendl i chen, von dem er mir erzählt hat. Dem Jungen, der zu viel Kraft hat und zu viel Energie, als dass es für ihn gut sein kön n te, in Augenblicken, in denen er sie nicht kontrollieren kann.
„Michaela hat mir erzählt, dass sie das Safeword gesagt hat, als sie das Messer gesehen hat. Du hättest aufhören müssen, Anthony.“ Die Muskeln in seinen Oberarmen zittern unter se i nem T-Shirt, doch bestimmt nicht von der Anstrengung, den Mann an der Wand zu halten, sondern von der Strapaze, die Kontrolle über sich selbst nicht zu verlieren.
„Genau das ist es, was die Szene nicht braucht. Euch DummDoms, die denken, ein Sir gibt euch das Recht, zu tun und zu lassen, was ihr wollt. Du hast dich verrechnet?“ Ve r ächtlich schnauft er. „Dass ich nicht lache. Es war deine Pflicht, dich nicht zu verrechnen. Sie hat dir vertraut! Und als Dank lässt du sie auf den Boden knallen. Bete zu Gott, dass es wirklich nur ein paar Hämatome und Abschürfungen sind. Denn wenn nicht, dann gnade mir Gott, aber dann kann ich nicht für mich garantieren.“ Bevor der Mann, der für Michaelas Unfall verantwortlich ist, etwas erwidern kann, hat Crispin ihn zur Seite geschleudert. Hart kracht er gegen den Schreibtisch. Er hat sich noch nicht wieder aufgerappelt, da packt Crispin mich bereits am Handgelenk und zieht mich zur Tür hinaus. „Gehen wir!“
Auch im Auto umgibt ihn immer noch ein Nebel aus Aggre s sion und Wut. Ich höre die Gedanken in seinem Kopf. Ich kann zwar nicht lesen, was er denkt, aber Schuldbewusstsein und Erregung sind so sichtbar in seiner ganzen Haltung, dass es fast eine Viertelstunde dauert, bis ich mich traue, ihn anz u sprechen.
„Du bist nicht so wie er“, sage ich leise. „Es ist nicht deine Schuld.“
Seine Finger krampfen sich um das Lenkrad, lassen wieder locker. Er wiederholt die Prozedur ein weiteres Mal und noch einmal. Dann erst antwortet er mir. „Ich hatte geglaubt, ihn einschätzen zu können. Ich wusste, dass er mit Michaela spielt, und ich habe gedacht, dass sie bei ihm sicher ist.“
„Du hast dich getäuscht. Menschen irren sich. Das gibt dir noch lange keine Schuld an dem, was heute geschehen ist.“
„Ich hätte es verhindern können.“
Ich lasse meinen Kopf gegen die Nackenstütze fallen und schließe kurz meine Augen. Es hat keinen Sinn, mit ihm reden zu wollen. Er hört gar nicht, was ich sage. Das Licht von Str a ßenlaternen verwischt im Vorbeifahren zu leuchtenden Stre i fen. Niemals hätte ich erwartet, dass Crispin es ist, der das G e spräch wieder aufnimmt. „Die Convention, für die diese Vo r führung heute die Generalprobe sein sollte, ist in zwei W o chen. George hat mich wochenlang bekniet, dass ich dort hin fahre und für den Club performe. Ich habe abgelehnt. Michaela und ich … es ist lange her.“
„Du meinst, wenn du zugesagt hättest, mit Michaela öffen t lich aufzutreten, wäre der Unfall heute nicht passiert. Und de s halb gibst du dir die Schuld?“
„Ich hätte es verhindern können.“
„Warum hast du abgesagt? Wolltest du das denn, mit Micha e la performen?“ Ganz weit hinten in meinem Bewusstsein lauert grün und schleimig die Eifersucht. Ich will nicht daran denken, wie es wäre, wenn Crispin Michaela fesseln würde. Selbst wenn es nur für eine Vorführung wäre. Die Vorstellung, wie sie sich in den Seilen windet, während er sie mit einem Flogger bea r beitet, gefällt mir gar nicht. Zum Teufel noch mal, was ist mit mir passiert, dass ich eifersüchtig werde, weil ich mir vorstelle, dass dieser Mann eine andere Frau als mich schlägt? Aber es geht hier nicht um mich. Die Antwort auf diese Frage muss warten.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er leicht den Kopf schüttelt. „Es bringt mir nichts, das vor anderen zu tun. Es gibt mir keinen Kick. Mir reicht es, zu wissen, dass das Model mir vertraut, dass ich machen kann, was ich will. Ich brauche dazu kein Publikum.“ Kein Wort über Michaela. Kein Wort darüber, dass er es sich nicht
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