Amber-Zyklus 10 - Prinz des Chaos: der Titel
Gegenwart auf Schloß Amber zeugten. Wenn er tatsächlich an einem dieser Orte gewesen war, dann konnte er sich allem Anschein nach nicht allzu weit entfernt aufgehalten haben. Und das würde bedeuten, daß er schlicht und einfach eine Blockade gegen mich errichtet hatte, und ein weiterer Versuch, Verbindung mit ihm aufzunehmen, würde sich wahrscheinlich als gleichermaßen erfolglos erweisen. Trotzdem - wenn es nun doch irgendeine andere Erklärung für all diese Vorkommnisse gäbe...
Ich hatte den Eindruck, daß die Karte unter meiner Berührung kalt wurde. Bildete ich mir das nur ein, oder wurde sie durch die Kraft meiner Beachtung aktiviert? Im Geiste bewegte ich mich nach vom und konzentrierte meine Gedanken. Währenddessen schien sie immer kälter zu werden.
»Pa?« sagte ich. »Corwin?«
Die Kälte nahm zu, und ein Kribbeln war in den Fingerspitzen, die sie berührten. Es kam mir vor wie der Anfang eines Trumpf-Kontaktes. Vielleicht war er viel näher bei den Burgen als bei Amber und jetzt in meiner Reichweite...
»Corwin«, wiederholte ich. »Ich bin es, Merlin. Hallo!«
Sein Bild waberte, schien sich zu bewegen. Und dann wurde die Karte vollkommen schwarz.
Doch sie blieb kalt, und ein Gefühl wie eine lautlose Abart eines Kontaktes war weiterhin vorhanden, wie eine Telefonverbindung während einer langen Gesprächspause.
»Pa? Bist du da?«
Die Schwärze der Karte erweckte jetzt den Eindruck von Tiefe. Eine Tiefe, in der sich etwas zu rühren schien.
»Merlin?« Das Wort kam schwach, doch ich war mir sicher, daß es seine Stimme war, die meinen Namen aussprach. »Merlin?«
Die Bewegung innerhalb der Tiefe war wirklich. Etwas strebte auf mich zu.
Es sprang aus der Karte heraus und mir ins Gesicht, mit dem wilden Schlagen schwarzer Flügel und dem Krächzen einer Krähe oder eines Raben - schwarz, schwarz.
»Verboten!« kreischte es. »Verboten! Geh zurück! Weiche!«
Es umflatterte meinen Kopf, und die Karten flogen mir aus der Hand.
»Bleib weg!« krächzte es schrill und kreiste durch den Raum. »Ein verbotener Ort!«
Es huschte zur Tür hinaus, und ich folgte ihm. Es hatte sich jedoch anscheinend in Nichts aufgelöst, denn im nächsten Augenblick war nichts mehr davon zu sehen.
»Vogel!« schrie ich. »Komm zurück!«
Doch es kam keine Antwort, kein weiterer Laut schlagender Flügel. Ich spähte in die anderen Räume, und in keinem davon war das geringste Anzeichen von dem Geschöpf.
»Vogel...?«
»Merlin? Was ist los?« kam eine Stimme von hoch oben.
Ich blickte hinauf und sah Suhuy, der hinter einem zitternden Schleier aus Licht eine Kristalltreppe herunterkam, mit einem Himmel voller Sterne als Hintergrund.
»Ich bin nur auf der Suche nach einem Vogel«, antwortete ich.
»Oh«, sagte er, als er den Treppenabsatz erreicht hatte und durch den Schleier trat, der sich ins Nichtvorhandensein schüttelte und die Treppe mit sich nahm. »Geht es um einen besonderen Vogel?«
»Einen großen schwarzen«, antwortete ich. »Von der sprechenden Sorte.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann einen herbeibringen lassen«, bot er an.
»Es war ein ganz besonderer Vogel«, entgegnete ich.
»Es tut mir leid, daß er dir entflogen ist.«
Wir traten in den Gang hinaus, und ich wandte mich nach links und ging zurück zu dem Salon.
»Hier wimmelt es nur so von Trümpfen«, bemerkte mein Onkel.
»Ich habe soeben versucht, einen anzuwenden, und er wurde schwarz; ein Vogel flog daraus hervor und schrie: >Verboten!< Daraufhin ließ ich die Karten fallen.«
»Das hört sich an, als ob dein Partner am anderen Ende ein Joker ist«, sagte er, »oder unter einem Zauberbann steht.«
Wir knieten nieder, und er half mir beim Einsammeln der Karten.
»Das letztere halte ich für wahrscheinlicher«, sagte ich. »Es war die Karte meines Vaters. Ich versuche jetzt schon seit längerer Zeit, ihn ausfindig zu machen, und diesmal bin ich ihm so nahe wie nie zuvor gekommen. Ich habe sogar seine Stimme gehört, innerhalb der schwarzen Funkstille, bevor der Vogel dazwischenplatzte und unsere Verbindung unterbrach.«
»Das legt die Vermutung nahe, daß er an einem finsteren Ort festgehalten wird und womöglich sogar unter magischer Bewachung steht.«
»Natürlich!« sagte ich, während ich die Kanten meiner Karten ordentlich zusammenklopfte und sie wieder einsteckte.
Die Materie des Schattens läßt sich an einem Ort absoluter Finsternis nicht bewegen. Das hat die gleiche Wirkung wie Blindheit, um jemanden unseres
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