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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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eigentlich alt genug, es besser zu wissen.
    »Chrissie soll sich verficken!« rutschte mir heraus. Noch als ich es sagte, wußte ich, daß ich das eigentlich nicht sagen sollte. Aber es war mir egal. Mamas Augen wurden groß wie Unterteller. Ich dachte, daß sie gleich an die Decke gehen würde. Tat sie aber nicht. »Meine Liebe, so habe ich dich noch nie reden hören!«
    »Das sage ich auch nicht sehr oft.« Um ehrlich zu sein, obwohl ich das Wort wohl schon oft geschrieben habe, weiß ich nicht, ob ich es jemals laut ausgesprochen habe. »Aber ich bleibe dabei: Chrissie soll sich verficken!« Mama fing laut zu lachen an, obwohl sie ja eigentlich weinte. Schließlich lachte sie nur noch: »Ja, mein Schatz, genau: Die alte Chrissie soll sich verficken. Dein Vater ist auch dieser Meinung, und ihr habt beide recht.« Sie gab mir einen Kuß, umarmte mich und fing dann gleich zu arbeiten an.
    Froh bin ich, daß ich wenigstens ihr helfen konnte, wenn es schon bei Boob nicht klappt. Manchmal scheint es mir, daß in dieser Familie keiner einen Seelenklempner, sondern nur mich braucht. Aber ich bräuchte auch jemanden. Außer dir, Anne, fällt mir aber niemand ein.
     

24. April
    Boob blieb heute daheim. Vielleicht brütet sie ja nur eine Erkältung aus oder so was, und sonst fehlt ihr nichts. Hoffentlich.
    Beim Mittagessen traf ich Katherine, aber diesmal habe ich sie gar nicht erst angesprochen, denn falls alles so ist, wie sie erzählt hat, dann macht es keinen Sinn mehr, ihr weiter zuzusetzen. Sie sah sehr traurig aus. Momentan lassen alle meinen Spind in Frieden, aber sie fangen sicherlich wieder damit an, wenn ich nicht mehr damit rechne. Lori habe ich auch gesehen. Sie wandelt durch die Gänge, als wüßte sie gar nicht, wo sie überhaupt ist. Und wahrscheinlich stimmt das sogar.
    Das Wochenende ist da.
     

25. April
    Was für ein Tag, Anne! Heute früh rief Iz mich an, ich solle sie um halb zwölf treffen. Da Mama jetzt wieder einkaufen kann, konnte ich mich beim Frühstück endlich einmal wieder vollstopfen wie ein Schwein. Ich verdrückte eine Schüssel Müsli, drei Bananen und ein Süßstück. Boob schien es auch besser zu gehen; sie sagte wenigstens »Guten Morgen« und sah sich die Trickfilme im Fernsehen an, als sei sie wieder sie selbst. Ich traf mich mit Iz, Jude und Weezie am Eingang zu den Aufzügen am 125er Bahnhof. Iz und Weezie hatten weite Schlabberhosen an, die in Motorradstiefeln steckten, dazu T-Shirts mit einer Jacke drüber. Das von Iz hatte eine Zahl aufgedruckt, das von Weezie eine lange Liste mit Namen. Jude sah aus, als würde sie zum Leichtathletik-Training gehen: Turnschuhe, schwarzes Trägerhemd, schwarze Leggins, die so eng waren, daß man sehen konnte, daß sie darunter nur einen G-String trug. So wie sie angezogen war, hätte sie die Jungs aus der Nachbarschaft völlig aus dem Häuschen gebracht, aber sie waren nicht in der Nähe, um ihre Sprüche loswerden zu können. Und wie ich Jude einschätze, hätten sie es auch nicht gewagt, so mit ihr umzuspringen wie mit mir.
    »Auf los gehts los.« Iz.
    »B&T wird fotzenvoll heute.« Weezie.
    »Was dagegen, wenn ich ne Runde Blech ausgebe?« Jude reichte uns die U-Bahn-Münzen. »Ab!«
    Das Wetter war wunderschön, sonnig, klar, nicht heiß. In unserer Gegend hält sich der Rauch nicht, anders als weiter oben oder weiter drüben, Richtung East River. Wir stiegen in den ersten Waggon, als der Downtown-Zug endlich einfuhr. »Zusammenbleiben!« ordnete Jude an. »Chancen auschecken!« Jude ging voran, dann Weezie, ich und Iz als Schlußlicht. Wir gingen durch alle Wagen bis zum Ende des Zugs. Es machte mir Spaß, wie auf einem Schiff hin- und herzuwackeln und während unseres Marsches durchgeschüttelt zu werden. Nur zwischen den Wagen war mir mulmig, weil der Zug sehr schnell fuhr. Als wir einstiegen, war der Zug nicht sehr voll, aber mit jedem Halt wurden die Menschen mehr. »Keine Gangsta.« flüsterte Iz mir zu.
    Sechs oder sieben Penner gurkten durch die Waggons, schepperten mit ihren Bechern und hielten Schilder hoch, auf denen ›4 Jahre AIDS‹, ›5 Jahre TB‹ oder ›6 Jahre Krebs‹ stand. Der Mann ohne Beine mit seinem Rollwägelchen, der tagtäglich die Linie 1 abklappert, war auch in unserem Zug, auch er mit einem Becher und um Kleingeld bettelnd. Asiaten verkauften Glückskekse aus Dosen; ein Koreaner im Anzug kam mit einem Koffer Spielzeug durch. Er ließ ein leuchtendes Jojo schwirren und zeigte ein Püppchen, das bieselte, wenn

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