Ambient 02 - Heidern
mit ihm Schluß gemacht?« fragte Lester.
»War sowieso bloß eine Büroaffäre. Wir hatten uns zu tief aufeinander eingelassen. Unsere Arbeit stand uns in der Quere. Seine Aufgaben.«
»Und was passierte?«
»Eines Nachts kriegten wir häßlichen Zoff«, sagte ich. »Ich habe ihn einen Golem genannt. Und gemeinere Sachen. Wir haben uns belabert und sind Freunde geblieben, aber das war's dann auch.« Midtowns entlegene Lichter entflammten Manhattans Himmel, bis er genauso blutrot glomm wie über Long Island. Der Brodem der Unterwelt blähte Risse ins Straßenpflaster. Links von uns türmten sich hinter einer flachen Anlage aus Vorbauten die Riesengebäude des Welthandelszentrums an den Abendhimmel hoch. Auf dem Vorplatz patrouillierten Soldaten und hielten höhnisch lachend einen Pizzalieferanten auf; das Essen der Nachtarbeiter traf unweigerlich kalt ein. »Wieso erzähle ich dir das eigentlich?«
»Weil ich gefragt hab«, sagte er. »Abends scheint hier alles so ruhig zu sein. Wie in alten Zeiten. Wird die Armee denn wirklich noch gebraucht?«
»Sie gilt als unentbehrlich«, antwortete ich. »Thatcher wird nervös, wenn er sich nicht einigeln kann.«
»Außer wenn er mit dir zusammen ist?« fragte Lester ohne jede Spur von Bosheit in der Stimme. Ich überlegte mir, ich könnte ihn, ginge ich von ihm ein wenig auf Abstand, womöglich daran hindern, noch tiefer in mein Gemüt Einblick zu nehmen, verdrängte dabei vorsätzlich aus meinem Bewußtsein, daß ich mit jemandem einen Abendspaziergang machte, der mir Gottes Gesichtslosigkeit enthüllt hatte.
»Bitte laß das«, verlangte ich.
»Ich kann Leut leicht durchschaun«, sagte er. »Mir wär's lieber, ich könnt's nicht.«
»Es ist, als hättest du über mich Nachforschungen veranlaßt«, sagte ich. »Als hättest du beobachtet, wie ich komme und gehe, ohne daß ich es merkte. Das ist ein abscheuliches Gefühl …«
»Verabscheust du mich so sehr wie ihn?« Eine Sekunde nach unseren Schritten verstummte ein drittes Paar Füße, dessen Geräusch unseren Gleichklang mit einem Ornament verzierte. Ein Soldat, dachte ich, weil ich niemanden sah, ein Malocher, oder ein Angestellter, der einen Laden verließ. Eigentlich herrschte Ausgangssperre; als Leitende der Dryco hätte ich wahrscheinlich, wäre mir daran gelegen gewesen, den Daumen ausstrecken und einen Panzer anhalten können. Durch immer düsterere Straßen setzten wir unseren Weg zu den Wohnvierteln fort. In der Höhe flogen Hubschrauber, stichelten die Stadt mit Lanzen aus Licht, fahndeten nach jenen, mit denen die Macht nicht geteilt werden sollte. Wind pappte Zeitungen um unsere Fußknöchel, während wir ausschritten, die Worte des Tages verwehten. »Tut mir leid«, fügte Lester hinzu. »Zu erkennen, was Leute denken, ist einfach zu leicht.«
»Aber mußt du es ihnen auch noch ins Gesicht sagen?« hielt ich ihm vor. »Haben die Menschen nicht genug Sorgen, ohne daß Fremde ihren Geist vergewaltigen?«
»Um das, um was sie sich sorgen sollten, machen sie sich nie Sorgen«, entgegnete er. »Und wie oft geschieht Vergewaltigung durch jemanden, von dem man glaubt, daß man ihn liebt? Du würdest mir nicht trauen, wär ich kein Fremder.«
»Ist man in der Nachbarschaft deswegen nicht sauer auf dich?« fragte ich. »Weil du Menschen an das erinnerst, was sie vergessen möchten?«
»Schlechtes zu sehen und dagegen nichts zu unternehmen ist eine Sünde.«
»Demnach ist Gott der größte Sünder?« fragte ich; so quatschte der Bernard in meiner Seele dazwischen.
»Jein«, antwortete Lester. Wir passierten ein ehemaliges Postamt, das man vor Jahren zu einer öffentlichen Klinik recycelt hatte. Eine lange Warteschlange stummer Gestalten harrte auf Einlaß ins Wartezimmer. Von Grünspan verfärbte Messinggeländer armierten die mit Graffiti bekritzelten Mauern. Ein am Granit befestigtes Schild verzeichnete neue Zugänge zu den sechs Milliarden.
BUNDESWEIT GEMELDETE FÄLLE 17. NOV.
1 623 958
TOTE
783 521
SPRITZENAUSGABE TGL. 9 – 13 UHR
Wo Hoffnung ist, ist auch ein Weg.
»Sogar die Gottheit muß aus dem, was Sie geschaffen hat, das Beste zu machen versuchen«, erläuterte Lester. »Ergibt's 'n Sinn, zu sagen, daß diese Welt in einer besseren Welt besser war?«
Ich fragte mich, was man sich wohl von Gott/Göttin versprechen durfte, wenn Ihr augenscheinlicher Bote dermaßen metaphysische Äußerungen von sich gab. »Siehst du ständig, was du mir gezeigt hast, oder nur,
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