Ambient 02 - Heidern
das der Fall, hätte er Gus damit beauftragt …«
»Den Alten?«
»Er hat Erfahrung …«
»Etwa darin, wie man Kindern Finger bricht?«
»Er hat drei Präsidenten umgenietet.« Alles blieb still, doch das hieß wenig. Jetzt kam es hauptsächlich auf Geduld an; wollten wir nicht bemerkt werden, durften wir uns nicht regen. Hätte ich im eigenen Saft weitergeschmort, vielleicht wäre ich nie wieder imstande gewesen, mich vom Fleck zu rühren. Ein Wagenschlag wumste, wo die Lastzüge standen, ich spähte hinüber zu ihren Lichtern. Als ich den Kopf drehte, sah ich Lester in die Mitte der menschenleeren Straße schlendern; dort verhielt er, wie um herauszufinden, wer ihn beobachten könnte. Fast schien es, als ob Lester, wie er da im trüben Schein der einzigen Laterne umheräugte, von innen glömme, seine Aura wirkte mit Sicherheit geradeso radioaktiv wie numinos.
»Bis jetzt sind wir noch heil, Joanna«, sagte er, als er zu mir, die ich praktisch am Gemäuer klebte, zurückkehrte, meinen Arm nahm und mich mit sich zog. Auf der Duane Street brachten die Laster ihre Motoren auf Touren, fuhren ab, um ihre Fracht auszuliefern. Mein Magen brannte, als hätten meine Geschwüre sich wieder entzündet; ich sank auf die Knie, als wären mir die Sehnen durchtrennt worden. Am liebsten hätte ich mich übergeben, doch als einziges quetschte ich mir Beinahe-Tränen ab, ich weinte ohne Nässe, ohne einen Laut, damit niemand anderes es sah oder belauschte, ich keine unerwünschte Beachtung auf mich zog. »Nee, 's is wirklich alles ruhig«, beteuerte Lester. »Echt wahr.« Er streichelte meinen Rücken, und ich begann mich zu fassen, holte lange, trockene Atemzüge; der Kopf saß wieder fest auf meinen Schultern. »War wohl 'ne Fehlzündung bei so 'm Laster. Kann mir nix anders denken. Hätte wer 's auf uns abgesehn, war genug Gelegenheit vorhanden gewesen.«
»Gelegenheit haben sie sowieso«, sagte ich. Im Moment jedoch drohte anscheinend keine Gefahr. Lester half mir auf die Beine; beim Gehen fiel mein Blick auf den Straßennamen. Ich hatte noch nie von der Staple Street gehört, aber andere mußten sie, weil sie hier wohnten, gut kennen. Hinter einem nahen Fenster erleuchteten Lampen eine Küche: Kartons mit Katzenfutter in einem Regal, eine verwelkte Zimmerpflanze, ein Hanukka-Kandelaber aus Plastik. Wir wandten uns nach rechts, zur Hudson Street.
»Passiert dir so was öfters?« erkundigte sich Lester. Meine Kiefer schmerzten, als ich antwortete, so verbissen hatte ich gegen meine Tränen gekämpft.
»Früher nicht«, sagte ich. »Es wird zuviel für mich. Ich finde es grausam, sich dauernd fürchten zu müssen. Mir ist zuwider, was ich bin. Wie ich lebe …«
»Sag nicht so was …«
»Mir ist widerwärtig, was ich getan habe. Was man aus mir gemacht hat. Ich hasse so tief, und ich darf's nicht zeigen.« Häufig schwafelten die sogenannten neuen Männer, sie bewunderten die angeborene Sanftmut der Frauen, bewiesen dadurch allerdings nichts anderes, als daß sie Frauen nicht besser als die sogenannten alten Männer verstanden; allzu oft läßt eine Frau nur ihre Wut endlos durch sich selbst zirkulieren, bis sie sie schließlich auf die praktikabelste Weise auf das naheliegendste Opfer entlädt. Männer spielen mit ihrem Zorn, für sie ist das Austoben ein Rollenspiel. Wie viele Male hätte ich in dieser Zeit eine Machete nehmen und mir ohne konkreten Anlaß eine Gasse durch die Fahrgäste irgendeines U-Bahn-Waggons hacken können …!
»Du findest's scheußlich, was du von denen mit dir hast anstellen lassen?« fragte Lester.
»Das auch.« Die Hudson Street sah um soviel deutlicher als die Staple Street wie eine Straße unserer Epoche aus, daß man sich fast einbilden konnte, Menschen benutzten sie noch. An den Bordschwellen standen zwischen zwei und zwanzig Jahre alte Heizölporsche aufgereiht. Die Fahrverbotszone endete einen Häuserblock vor der Canal Street, und je weiter wir uns ihr näherten, um so augenfälliger begannen die Straßen sich mit Fahrzeugverkehr zu füllen. An der stadtseitigen Einfahrt zum Holland-Tunnel – am Ende des Kanals – unterhielt die Armee einen vermutlich wahllos dort eingerichteten Kontrollpunkt, stoppte und durchsuchte Autos nach Gegenständen prätentiösen Anspruchsdenkens, die man beschlagnahmen und verscherbeln könnte. Der Stau, den man an der Einfahrt zur Stadt antraf, reichte zu jeder Zeit acht Kilometer weit nach Jersey hinein; Dryco-Dienstwagen und Militärfahrzeuge
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