Ambient 02 - Heidern
sagte ich.
Ein letzter kleiner Laden, den wir passierten, handelte mit Stücken verschiedenerlei Mineralien, Blütenkelchen aus Stein, aus Felsen gepflückte Rosen. Danach verlief die Straße nur noch durch ausgestorbene Häuserblocks, an deren sämtlichen Gebäuden man Fenster und Ladenfronten gegen die Flut mit Brettern vernagelt hatte. Aufklebe-Blumenmuster sollten die Bretterverschalungen einiger Schaufenster freundlicher gestalten. Aus dem rissigen Gehweg sprossen farblose Grasbüschel. Alles erweckte den Anschein, in derartiger Hast verlassen worden zu sein, daß ich mir vorstellen konnte, ich fände darin, beträte ich welche dieser Häuser, in Tassen noch warmen Kaffee vor, feuchte Zahncreme auf Zahnbürsten, aber keinen Anhaltspunkt auf den Verbleib der Bewohner.
»Ist das 's Firmenzeichen eures Unternehmens?« fragte Lester, deutete auf ein oberes Stockwerk. Auf der gesamten Länge des Häuserblocks avisierten unter den Dachleisten befestigte Riesenplakate den neuen Gebäudekomplex, den man kurz danach auf dem Grundstück zu errichten beabsichtigt gehabt hatte. Der Fertigstellungstermin lag inzwischen drei Jahre zurück. Mir schien die Verspätung zu groß zu sein, um sich noch – zweifellos ohne jeden Sinn – die Logos anzuschauen, aber endlich sah ich, was Lester meinte, ein winziges Symbol, das in keiner Hinsicht dem empyreischen Strahlemann der Dryco ähnelte.
»Nippon-Bank«, konstatierte ich. »Das ist ihr Zeichen. Hier stehen auch beschlagnahmte Immobilien. Ich bin mir sicher, daß er sie sich letzten Endes ebenfalls krallt. Ich habe nicht einmal Überblick der Hälfte von allem, was die Drydens besitzen.«
»Gehört ihnen eigentlich alles?« fragte Lester, sich offenbar voll und ganz darüber im klaren, was ›alles‹ hieß.
»In jedem Unternehmen steckt ein bißchen Dryco.«
»Wie sind sie drangelangt?« wollte er erfahren. »Durch Glück? Oder Planung?«
»Ihre Informanten bei der Regierung wußten von der Währungsreform, bevor sie verkündet wurde«, erläuterte ich, gab alles so wieder, wie Bernard es mir dargestellt hatte. »Einige von ihnen waren dabei gewesen, als der Vorschlag auf die Tagesordnung kam. Die Drydens tauschten die alten Scheine gegen neues Geld ein, noch ehe es Gültigkeit erhielt. Sie legten soviel Wert darauf wie die Regierung, das Drogengeschäft zu bereinigen … Auf jeden Fall in bezug auf ihre Konkurrenz. Als der Börsenmarkt zusammenbrach, war Susie die einzige, die kaufen konnte. Sie erwarb von siebzig Aktiengesellschaften je fünfzig Prozent. Mehr brauchten sie nicht.«
»Und was tat er zu der Zeit?«
»Konferierte in Washington«, sagte ich. »Am Abend war alles beschlossene Sache. Ich glaube, keiner von beiden kapierte richtig, wie weit sie es treiben konnten, bis sie es durchgezogen hatten.«
Es bereitete mir ein denkwürdiges Gefühl, sprechen zu dürfen, ohne unterbrochen zu werden, die Gewißheit zu haben, daß jemand meine Worte beachtete.
»Anscheinend ist sie von beiden die pragmatischere Person«, meinte Lester. »Sie weiß das über dich und …?«
Ich nickte. »Jeder weiß es, glaube ich. Manchmal rede ich mit Avi darüber. Bernard will davon nie etwas hören.« Irgendwo im Norden dröhnte eine Explosion; ich fragte mich, ob ich meinen Wohnsitz wiedersehen mochte, wie ich ihn verlassen hatte. »Nach Avi ist Thatcher irgendwie ein Rückschritt.«
Eine weitere gealterte Plakatwand, älter als viele andere, zierte die Seitenmauer eines Gebäudes. Gott sieht, wer Ihn sucht lautete die Bildunterschrift unter dem Foto. Auf die Gesichter des Bilds, das KZ-Überlebende am Tag ihrer Befreiung zeigte, hatte irgendwer Hakenkreuze gesudelt. Während der längsten Zeit des Krieges hatte Avis Vater in Maidanek eingesessen. Als die Armee in Brooklyn einmarschierte, hatte er mit seiner Familie Crown Heights den Rücken zugekehrt. Jeden Monat schickte Avi die Hälfte seines Gehalts der Familie ins ländliche nördliche Städtel. Weiß dein Vater, hatte ich Avi in unserer letzten gemeinsamen Nacht gefragt, wie du deine Mäuse verdienst?
Er weiß, daß auch Zweckdienliches ohne tieferen Sinn existiert, hatte er mir zur Antwort gegeben.
Ein Leibwächter ist zur Verteidigung da. Thatcher dagegen sagt, kill mir den oder den, und du gehst hin, egal wer's ist, und machst es.
Das ist nun mal meine Aufgabe.
Ich hatte ihn einen Nazi genannt.
Das ist doch gar kein plausibler Vergleich. Die Drydens sind mehr wie ein Muttertier, das sich im Schlaf herumwälzt und
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