Ambient 02 - Heidern
Erbauungsfabel. »›Hast du weitere Fragen?‹ hatte Gott, wie Hiob dem Fremden anvertraute, ihn zur Offenheit ermuntert, und Hiob hatte noch eine Frage gehabt, sich jedoch gesorgt, Gottes Geduld vielleicht schon zu stark auf die Probe gestellt zu haben, darum bildete er für endlos lange Zeit das Wort nur lautlos mit den Lippen. ›Wenn du nicht fragst, lernst du nichts‹, ermahnte ihn Gott. ›Warum?‹ fragte Hiob schließlich, aber da war Gott plötzlich fort.«
F ÜN F
Ich schaltete die Alarmanlage ab und die Deckenbeleuchtung an, so daß mein gesamtes Heim von Licht erstrahlte. »Das ist alles deins?« fragte Lester, zögerte hinter mir, als fürchtete er sich, die Türschwelle der Wohnung endgültig zu überqueren. Sobald er innen stand, aktivierte ich wieder die Alarmanlage, sperrte die fünf Schlösser ab und legte den Stangenriegel vor. Für den Fall, daß mir irgend jemand in der Wohnung auflauerte, hatte ich in der Handtasche eine Pistole, doch bis jetzt hatte ich sie nie benutzen müssen.
»Und das obere Stockwerk. Das Ganze wird Maisonettewohnung genannt, aber an und für sich reicht der Platz für dreißig Personen. Eigentlich ist es Thatchers Appartement. Ein Geschenk. Bis er's zurückfordert.«
Die vorherigen Besitzer hatten eine Art von Dekor bevorzugt, wie sie daraus resultiert sein mußte, daß man dergleichen – vor Jahren – in teueren Zeitschriften abgedruckt hatte. Mehrheitlich erstreckten die mit hellem Parkett ausgelegten, durch in Navahoweiß gestrichene Trennwände unterteilten Zimmer sich über die volle Breite des Gebäudes. Lester streifte durchs Wohnzimmer, verkniff angesichts des Glänzens der Möbel die Augen, betrachtete ein abstraktes Gemälde, das über dem Kamin hing. Als mein Blick diesmal auf die gepinselten Strudel fiel, fragte ich mich, woher meine Bekannte wohl gewußt haben mochte, welche Engel den Himmel durchschwärmten.
»Es heißt ›Auf der Jagd nach Liebe in Stücke zerspellt‹«, sagte ich. »Eine Bekannte, mehr oder weniger eine Freundin, hat es gemalt. Sie hat eine ganze Anzahl von Bildern gemalt, aber keines ist je verkauft worden. Außer dem hier.«
»Es ist fürchterlich düster«, bemerkte Lester. »Ist's erst kürzlich entstanden?«
Das Bild zeichnete sich tatsächlich durch Düsterkeit aus; die Engel erstickten in ausgedehnten Staubwolken, während sie Flügelpaar über Flügelpaar aus der Höhe abwärtskreisten. »Sie hatte im TriBeCa in einer alten Fabrik eine Etage als Studio erworben«, sagte ich. »Ihr Verlobter besuchte sie, um sich die Räume anzuschauen. Sie wollte den Aufzug betreten, um mit ihrem Verlobten hinaufzufahren und sie ihm zu zeigen, aber die Aufzugkabine war nicht da.«
»Das tut mir leid«, sagte Lester.
»Sie wäre heute noch unglücklicher als damals«, mutmaßte ich. »Möchtest du etwas trinken?«
»Ein Bourbon wär gut«, antwortete er. »Ein kleiner genügt.«
»Ich will dich nicht zum Trinken verführen.«
»Keine Bange«, beruhigte mich Lester. Wir gingen in die Küchen- und Interpersonelle Interaktionszone meiner Wohnung; hier hatten die Innenarchitekten sich sowohl im Interieur wie auch an den Wänden dermaßen rigide an ein Schwarzweißmuster gehalten, daß man beim Eintreten unwillkürlich das Gefühl hatte, in ein Kreuzworträtsel zu fallen. Es gab Backöfen sowie Mikrowellen- und Elektroherde, so viele Küchenschränke, Getränkebars und dazugehörige Gerätschaften, als gälte es, große Restaurants zu beliefern. In einem Schrank hielt ich ein Messer, eine Gabel, einen Löffel und zwei Teller bereit.
»So 'ne gewaltige Kühltruhe hab ich noch nirgends gesehn«, sagte Lester, besah sich den klotzigen Apparat. Bulganin-Kühltruhen sollten, hatte ich gehört, die besten sein, die man kaufen konnte. Ich nahm an, daß die Russen sich mit Eis gut auskannten. Bei der Größe ließ sich darin ein halber Stier einfrieren. »Führst du 'n gastliches Haus?«
Ich schüttete den Bourbon in zwei Gläser, die ich eigens für den Fall aufbewahrte, daß ich Besuch hatte. »Bernard ist der Meinung, ich sei weniger eine Stimmungskanone, sondern eher ein Trauerkloß.« Lester trank in winzigen Schlückchen, nachdem ich ihm seinen Bourbon gereicht hatte, als sorgte er sich, zu schnelles Trinken könnte ihm den Mund versiegeln. »Stark genug?«
»Ich trinke kaum«, sagte er, setzte sich auf einen schwarzen Stuhl, lehnte sich an die weiße Theke der Hausbar.
»Ich kapier einfach nicht, was bei ihm so großes Interesse an mir
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