Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
Vom Netzwerk:
dabei seine Jungen erstickt.
    So unbewußt ist ihnen nicht, was sie tun.
    Genausowenig wie dir, hatte er erwidert und meine Hände geküßt.
    Ich gestattete mir den Wiedereintritt in meine unausweichliche Weltwirklichkeit. »Joanna?« fragte Lester. »Bist du noch da?«
    »Ich habe mir früher nie über Thatcher den Kopf zerbrochen«, sagte ich. »Nicht auf diese Weise. Erst später. So vieles hätte vermieden werden können. Vielleicht wäre ich dann noch ich selbst.«
    »Kann sein«, sagte Lester. »Sie geben Karten ohne Straßen aus. Ich meine die Gottheit. Wir müssen uns selber den Weg durch den Dschungel bahnen.«
    »Sie«, wiederholte ich. »Sind es tatsächlich zwei?«
    »Meine Art, Sie zu beschreiben, ist eigentlich nicht akkurat«, gestand Lester zu. »Wahrscheinlich ist's 'ne volkstümlerische Vereinfachung. Aber jedenfalls versteht's jeder, so wie ich Sie schildere. Die Trennung zwischen Ihren Aspekten ist nicht zu leugnen, nur merk ich erst nach 'ner längeren Zeitspanne, wen ich hör. Und es ist so, ich kann zu Ihnen reden, wann ich will, weißt du, aber Sie reden nicht jederzeit mit mir.«
    »Aber du kannst mit Ihnen sprechen …«
    »Nicht andauernd«, schränkte Lester ein. »Und Sie weihen mich nicht in alles ein.«
    »Wenn Sie getrennt sind«, fragte ich, »was hat Sie zweigeteilt?«
    Warnschilder, die an die Ausgangssperre erinnerten, wiesen soviel Einschußlöcher auf, daß man hätte meinen können, sie ließen sich als Reibeisen benutzen. Während zwei Schützenpanzerwagen in Richtung Stadtzentrum rollten, peitschten keine neuen Schüsse, keine fremden Füße erzeugten Echos unserer Schritte, kein Befehlshabender beschloß einen Halt, um uns zu vernehmen. So nah vor meinem Zuhause wagte ich bereits von Sicherheit zu träumen. »Die Schöpfung«, sagte Lester.
    »Wieso?«
    »War 'ne schwere Geburt«, erklärte er. »Ich würd ungern verbreiten, Sie wärn wirklich zweigeteilt. Ich bin nicht sicher, ob Sie sich überhaupt als Zweiheit verstehn. Es ist mehr 'ne spirituelle als physische Geteiltheit, glaub ich.«
    »Sollten Sie getrennt sein«, fragte ich, »könnten Sie sich wiedervereinen?«
    Lester nickte. »Damit entstünd aber 'n Problem.«
    »Was gibt's denn sonst noch Neues …?«
    »Täten Sie es, schüfen Sie die Welt neu. Das hieße, die Welt, wie wir sie kennen, müßt 'n Ende haben.«
    »Müßte sie?« hakte ich nach. »Das weißt du bestimmt?«
    »Manchmal heben Sie 'n Zipfel der Decke an und zeigen mir, was drunter ist. Oder Sie lassen mich, wenn Sie Lust haben, mal was anderes gucken. Rückschlüsse zu ziehen liegt bei mir. Sie machen's mit mir fast wie Eulenspiegel mit 'n Blinden, könnt man sagen.«
    Bis zur King Street mußten wir nur noch einen Häuserblock weit gehen; an meiner Ecke baumelte etwas von der Straßenlaterne, doch es sah nicht aus, als wäre es je lebendig gewesen. Der frisch geteerten Fahrbahn hatten sich Abdrücke von Panzerketten eingeprägt, glichen Fossilien in Erdreich. »Danke für die Begleitung«, sagte ich. »Ich wohne gleich an der Ecke dort. Möchtest du mit nach oben?«
    »Klar.«
    »Tut mir leid«, sagte ich, »daß ich so viele Fragen stelle.«
    »Kennst du die Geschichte Hiobs?« Weil ich keine Antwort gab, fing er sie zu erzählen an. »Hiob zweifelte an Gott. Gott zweifelte Seinerseits an Hiob. Sie trafen eine Übereinkunft, und Hiob nahm wieder sein gewohntes Leben auf. Jahre später besuchte ein Fremder Hiob, verlangte von ihm die Beantwortung einer Frage. ›Er hat dich aufgefordert, wie ein Ebenbürtiger mit Ihm zu sprechen, und das hast du dir gefallen lassen?‹ fragte der Fremde. ›Während ich Seinen Reden lauschte‹, entgegnete Hiob, ›kam mir die Einsicht, daß der Schöpfer möglicherweise weder Verstand noch Vernunft braucht, um sich so zu verhalten, wie Er es macht, und daß insofern unser Versagen weit göttlicherer Natur sein mag, als wir es ahnen. Deshalb dachte ich, es sei am sinnvollsten, einfach allem zuzustimmen, was Er sagt.‹«
    Mit dem Fuß fegte ich den Kehricht des Tages von den Eingangsstufen und scharrte ihn davor zu einem halbwegs ordentlichen Häufchen zusammen. Meine Nachbarin schrie, als wollte sie uns daheim willkommen heißen; Lester wirkte beunruhigt, bis er merkte, daß mich das Gekreische längst nicht mehr erschreckte. Einmal hatte Bernard mir erzählt, wie bei ihm im Haus die Schreie von Kindern ihn die ganze Nacht lang wachgehalten hatten.
    »Das ist noch nicht alles«, ergänzte Lester seine

Weitere Kostenlose Bücher