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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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mit dem zu arbeiten, was da ist«, erwiderte Thatcher. »Verdammt noch mal«, fügte er hinzu, »habe ich's denn vielleicht nicht so gemacht?«
    Wir fuhren nach Norden; Armeefahrzeuge rollten nach Süden, um zu befrieden, wo es noch Friedhofsruhe erforderte. Der Turm des ersten Panzers schwenkte nach rechts und feuerte eine Granate in einen unweit der Randale geparkten Tele-4-Übertragungswagen, zauberte eine gelbe Glutblüte hervor, die heiße Metallsporen über den umstehenden Menschenauflauf verstreute. Ich schaute mich um, gerade als die Erschütterung der Detonation unser Auto durchrüttelte; aus Panzerfahrzeugen quollen Soldaten, hoben die Gewehre, ballerten tüchtig, obwohl der eigentliche Stunk etliche Häuserblocks entfernt stattfand, in die Menschenansammlung.
    »Ihr Nachrichtensender, Mr. Dryden«, bemerkte Avi.
    »Und mein Militär«, sagte Thatcher. »Joanna, hast du Gelegenheit zum Durchsehen des Vertrags gehabt?« Ich nickte. »Ihn im einzelnen gelesen? Ist dir irgend was Komisches aufgefallen?«
    »Überhaupt nichts.«
    Mit Thatchers Segen arbeitete die Armee weiter nördlich am Bau einer Betonmauer, die mitten durch die 14. Straße von Fluß zu Fluß verlief. Damit sollte erreicht werden, daß das Gebiet von Manhattan besser gegen Aufwiegler geschützt werden konnte, die es aus anderen Gegenden infiltrierten, um die Produktiven zu belästigen; für in dieser Zone Wohnhafte mochte es künftig auf gewisse Weise wie ein Leben im Himmel sein, wo man sich der beruhigenden Gewißheit, in alle Ewigkeit ein Dasein unter der Obhut allessehender Augen auszukosten, stets bewußt blieb.
    »Glaubst du, es dauert noch lang?«
    »Nein«, sagte Thatcher.
    Zwischen der 20. und 30. Straße lagen en masse, ganz wie angehäufter Sperrmüll, Menschen vor den verschlossenen Eingangstüren leerer Gebäude und schliefen, durften dort, weil sie wußten, daß kaum jemand sich den Aufwand zumutete, sie zu verscheuchen, ein Weilchen seliger Beschaulichkeit genießen.
    »Warum hassen Sie die Japaner so, Mr. Dryden?« fragte Avi.
    »Was haben Sie gesagt?« Bisweilen kann eine Bemerkung, wird sie im richtigen Augenblick ausgesprochen, starke Wirkung haben. Für kurze Zeit schwieg Thatcher, versuchte vielleicht eine rationale Darlegung seiner Anschauungen zurechtzulegen, wie sie ihm noch nie irgendwer abverlangt hatte. »Entschuldigung, ich hab's verstanden«, bekannte er nachträglich. »Ich will mich bemühen, es Ihnen zu erklären. Stellen Sie sich vor, zwei Männer begehren dieselbe Frau. Sie spiegelt vor, beide wären ihr gleichgültig. Bevor einer von ihnen bei ihr in der Gunst vorn liegt, läßt sie sich nicht anmerken, wie sie für den fühlt, der gewinnt. Möglicherweise bleibt es ihr egal, wer es ist.« Er beugte sich an seinem Platz vor, zeigte sich ganz frischauf erpicht aufs Erläutern seiner Metapher. »Ihnen ist's aber wichtig. Kann sein, sie sind alte Freunde. Vielleicht hassen sie sich. Möglicherweise hätte nie einer von ihnen, wären sie nicht in diese Situation geraten, irgend etwas drum gegeben, was aus dem anderen wird. Lassen wir mal einige Zeit verstreichen. Bald wird jeder von ihnen alles anzustellen bereit sein, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Alles. Wenn sie etwas unbedingt haben wollen, werden Menschen alles tun, um es zu kriegen. Basta. Ich habe nichts gegen die Japaner. Aber es gibt sie nun einmal, und sie wollen dieselbe Frau wie ich.«
    »Und was ist«, fragte ich, »wenn die Frau den Rivalen tatsächlich gleichgültig gegenübersteht?«
    »Dann gewinnt die Rivalität ein Eigenleben«, antwortete Thatcher. »Womöglich ist sie nach einer Weile gar nicht mehr in Reichweite. Liebe oder Geschäft, Politik oder Krieg, in jeder Lage bleibt der Konflikt bestehen. Früher oder später dreht man Dinger, an die man sich nachträglich nur noch ungern erinnert. Man macht Sachen, von denen man nie glaubt, man wäre überhaupt zu so was imstande, während man sie schon verübt. Es liegt eben in der Natur der Bestie Mensch, sie trotzdem zu begehen.«
    Mit lebhafter Bildlichkeit konnte ich mir ausmalen, wie die 56. West zur Zeit meiner Kindheit gewesen sein mußte. Wohnhäuser in Gestalt fünfzehn oder zwanzig Geschosse hoher Ziegelbauten mußten die Avenues, Gebäude aus richtigem braunen Sandstein die Nebenstraßen gesäumt, auf freien Parzellen umgebaute Mietstallungen und vielleicht ein, zwei kleine Speicher gestanden haben. Unter Markisen, die bis über die Bordsteine reichten, hatten wohl preiswerte

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