Ambient 02 - Heidern
Bildschirm, als versuchte er aus Eingeweiden die Zukunft zu prophezeien. »Stopfen Sie ihm ja sofort das Maul, falls er bei Otsuka aus dem Stegreif zu plappern anfängt.«
Thatcher steckte den Kopf zur Tür herein, erregte den Eindruck hochgradigen Frohsinns. »Wie geht's, wie steht's denn heute morgen?« fragte er, kam ins Büro gewalzt, klatschte die Hand auf Lesters Schulter, als ginge es ihm darum, sie auf Bröckeligkeit zu prüfen. »Was bummeln wir noch hier rum? Wir können nicht den ganzen lieben, langen Tag auf 'm Arsch hocken bleiben.«
»So, nicht?« fragte Bernard, raffte Schnellhefter von seinem Schreibtisch, als erntete er die Erträge seiner Kissenfurzermühen. »Lesen Sie das Informationsmaterial durch, Thatcher. Sie kennen ja wohl wenigstens den Vertrag, den Sie unterschreiben sollen, oder?«
»Ich überflieg ihn mal.«
Unsere drei Leibwächter schlurften ihm ins Büro nach, alle in gleiche schwarze Anzüge gekleidet, Zweireiher mit ausgebeulten Hosen, sie ähnelten im großen und ganzen der vierten Garnitur eines Tanzschulballs. Jake kratzte sich an der Nase, achtete sehr darauf, sie mit dem Skalpell, das nach wie vor im Verband seines kleinen Fingers stak, nicht zu kappen. Avis Augen nahmen, sobald er Lester sah, einen Ausdruck der Blicklosigkeit an, bis sie ihm in den Schädel zurückzuschrumpfen schienen. Gus' Miene widerspiegelte so wenig Lebendigkeit, daß ich fast zu der Vermutung neigte, er hätte von einem Kieferchirurgen seine Gesichtsmuskeln durchtrennen lassen, um sich nie wieder sorgen zu müssen, sein Mienenspiel könnte von seinem Innenleben etwas preisgeben.
»Ich habe mich noch nie so aufgemöbelt gefühlt«, sagte Thatcher. »Heute früh hatte ich gewaltigen Appetit. Ich hätte 'n Hund auffressen können …«
»Otsuka ist kein Koreaner, Thatcher«, rief Bernard ihm in Erinnerung. »Seien Sie mit Sashimi zufrieden. Sausen Sie hin, quatschen Sie mit ihm, unterzeichnen Sie und fahren Sie wieder ab. Ist das einfach genug?«
»Gerade noch zu schaffen. Geben Sie auf Lester acht, während wir weg sind. Machen Sie schon mal Ernst mit dem Lancieren der neuen Informationen.«
»Alles ist unter Kontrolle«, sagte Bernard. »Was nicht, wird's bald auch sein. Hauptsache ist, Sie kommen mit dem unterschriebenen Vertrag zurück …«
»Oder besser nicht?« meinte Thatcher und lachte. »Verdammt, scheißen Sie sich deswegen bloß nicht in die Bux, Mensch …«
Bernard lief dermaßen rot an, daß er für einen Augenblick als Susies Bruder hätte durchgehen können. »Manche Leute sind lebendig nützlicher, Thatcher. Denken Sie daran.«
»Wir werden ja mitkriegen«, antwortete Thatcher, »wie die Vorsehung entscheidet.«
Wenn Lester abends meine Wohnung verließ, machte ich mir nie Sorgen um seine Sicherheit; ich vermochte mich nicht der Befürchtung zu erwehren, daß er am hellichten Tag bei der Dryco in größerer Gefahr schwebte. Trotzdem wußte ich, am Abend würde er wieder bei mir sein. Während unser Quintett aufbrach, verständigte Gus, ehe wir den Lift bestiegen, per Funktelefon das Foyer, damit der Mob vorsorglich abgeschreckt werden konnte.
»Mr. Dryden und Begleitung unterwegs nach unten. Bitte alles vorbereiten.«
Thatcher prallte, als die Kabine nach unten zu sinken anfing, fast von der Wand ab, in der trüben Aufzugbeleuchtung schien es, als sprühte er Funken. »Sie haben die Wunden«, prustete er, kicherte vor sich hin. »Ich habe das Salz.« Er feixte in die Linsen der in den Ecken der Liftkabine montierten Videokameras, schnitt Fratzen, stocherte in den Zähnen, hämmerte mit den Fäusten gegen die Wände, die ihn umgaben. Hätte ich nicht gewußt, daß er eigene Ware nie anrührte, wäre mir keine andere Erklärung eingefallen, als daß er sich schon am frühen Morgen einen Streifen in die Nase gepfiffen haben müßte, noch bevor er die Füße auf den Bettvorleger setzte.
Jake sprang, kaum daß der Lift stoppte, ins Foyer voraus, erkundete das Umfeld, die bloße Ausübung seiner Aufgabe steigerte ihn in Zuckungen unbewußter Verzückung, Thatchers Ekstase nicht unähnlich. Der Weg zum Ausgang des Gebäudes führte uns quer durch die gesamte Breite des Foyers und anschließend, im Freien, über die Weite des Vorplatzes. Gus hatte Thatcher unzählige Male gewarnt, diese bevorzugte Strecke müßte ewig unsicherbar bleiben; doch diese Wahrheit zu hören, bestärkte Thatcher lediglich in seiner Auffassung, er dürfte keinen anderen Weg nehmen. Gus schnippte mit den
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