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Ambient 03 - Ambient

Ambient 03 - Ambient

Titel: Ambient 03 - Ambient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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meine Beine.
    »Margot noch untergetaucht?« fragte ich. Margot war Enids Geliebte. Drei Abende in der Woche bediente sie an der Bar. Außer Ruben und Lester beschäftigte Enid nur Frauen, ungeachtet des Diskriminierungsverbotes, um das sie sich noch nie geschert hatte.
    Ruben schüttelte den Kopf, dann nahm er mit dem Mund seine Zigarette aus dem Aschenbecher, schnippte sie mit kurzem Ruck in die Luft und fing sie wieder auf. »Dein lumpiges Mäuschen in aller Pracht zu sehen«, lachte er. »Mit Affentricks dem Geist zu spotten.«
    »Wunder und Herrlichkeit«, seufzte ich.
    Ich setzte mich an die Bar, drauf und dran, mein übliches – eine Pepsi – zu bestellen, besann mich dann eines anderen und verlangte einen dreifachen Gin. Ich hatte seit Jahren keinen Alkohol getrunken, aber an diesem Abend wollte ich einen hinter die Binde gießen, um meinem Geist eine Ruhepause zu geben. Die Barfrau, eine junge Negerin, deren rechte Hand aus zwei Fingern bestand, die der Schulter entwuchsen, war neu; bis auf Ruben, Lester und Margot herrschte im Loch eine unaufhörliche Fluktuation. Ambienten neigten zu Abwechslung und Zwanglosigkeit. Sie kannte mich und wollte keine Bezahlung annehmen. Ich ließ ihr trotzdem einen Penny Trinkgeld; das Glas war sauber und ganz, und sie hatte es nicht auf mich geworfen.
    Hinter der Bar wies ein handgeschriebenes Plakat auf bevorstehende Attraktionen hin.
     
    MORGEN
    Anne Frank/Kindesmißhandlungen/
    Mehrfache Geburtsschäden
     
    SAMSTAG
    Schüttellähmung/Irreversible Hirnschäden/Zyklon B
     
    Sonntag war der Klub geschlossen.
    Am hinteren Ende der Bar hatte sich eine Gruppe Transvestiten versammelt, die auf den ersten Blick Proxies ähnelten. Kleider, Haartracht, Make-up und Figuren ließen nichts zu wünschen übrig. Transies waren unter den freiwilligen Ambienten insofern einzigartig, als sie hinzufügten, statt wegzunehmen. Wer es sich leisten konnte, hatte T und A-Vergrößerung; niemand wurde Transi, der es sich nicht leisten konnte. Nachdem sie soviel getan hatten, behielten sie ihre Artillerie, um sie den Uneingeweihten vorzuzeigen. Sie liebten nur einander, posierten und pflegten sich für alle.
    Ich war nicht sicher, welche Gruppe spielen sollte; für mich war eine Ambientgruppe wie jede andere. Diese hatte einen einarmigen Bassisten. Sie stolperten herum, entstimmten ihre Instrumente. Ich trank rasch meinen Gin und hoffte vor Mitternacht zu entkommen. Die Gruppe stellte sich vor, indem sie einen Tisch ins Publikum warf. Dann fing sie an, die erste Nummer herunterzuknallen; eine eigene Komposition, wie ich argwöhnte. Das Publikum geriet außer Rand und Band, keilte um sich, sprang auf und nieder, schlug die Köpfe zusammen, klatschte mit Armstümpfen, wedelte mit Flossen, wiegte sich und schwankte von einer Seite zur anderen, jaulte und bellte und heulte wie ein Rudel heimatloser Wölfe in der grenzenlosen Taiga. Ambientsänger haben die Gewohnheit, ihre Texte ohne Modulation aus voller Kehle lauthals herauszuschreien; dieser Bursche war einer von der traditionellen Sorte.
    Als die Gruppe ihre erste Nummer zu ungefähr zwei Dritteln hinter sich hatte, rückte der Uhrzeiger auf Mitternacht, und es begann die Frohe Stunde. Ich schluckte, was vom Gin noch im Glas war, rutschte vom Barhocker und steuerte den Nebenausgang an. Das Publikum zog sein Spielzeug hervor und schickte sich an, seiner Hochstimmung Ausdruck zu verleihen. Die Motorsägen wurden auf Touren gebracht, als ich die Treppe zu unserer Wohnung hinaufrannte.
    Am oberen Treppenabsatz angelangt, stieg ich über die Obdachlosen, die sich dort bei unserer Tür zur Ruhe gebettet hatten; in unserem Stockwerk lagen sieben auf dem kurzen Korridor zwischen Treppenabsatz und Wohnungstür. In der Amtssprache wurden sie, um die allzu direkte und unerfreulich klingende Bezeichnung Obdachlose zu vermeiden, ›Eigenheimer‹ genannt, weil sie ihr eigenes Heim waren.
    Zahlreiche private und öffentliche Institutionen stellten Räumlichkeiten zur Verfügung, wo Obdachlose am Fußboden übernachten konnten – sogar die Armee ließ jeden Abend eine Anzahl in der Grand Central Station nächtigen, ungefähr eintausend, nach ihrer Zählung. Die regierungsamtliche Zählung, die zu viel niedrigeren Ergebnissen kam, erfaßte nur jene, die bis zum Morgen starben.
    Ich sperrte die fünf Schlösser an unserer Wohnungstür auf, dann die zwei am Schutzgitter, und ging hinein. Ich sperrte die Schlösser wieder zu und schloß das Gitter und schob

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