Ambient 03 - Ambient
keine Beachtung, und ich empfand keine Eifersucht; er schien es mehr aus Gewohnheit denn aus irgendeinem anderen Grund zu tun. Seine Frau und sein Sohn saßen ihm auf der anderen Seite der Tafel gegenüber.
Es war ungewöhnlich, daß Mrs. Dryden noch in Gesellschaft speiste. Sie war ungefähr einssiebzig und konnte nicht mehr als vierzig Kilo wiegen. Klatschgeschichten, die ich mitgehört hatte, ließen darauf schließen, daß die Ehefrauen anderer Besitzer sie für fett hielten. Besitzer heiraten nur, um legale Erben zu haben; gleichwohl hatten nur wenige von ihnen direkte Abkömmlinge; ihre Frauen waren bemerkenswert dünn und darum bemerkenswert unfruchtbar. Mrs. Dryden hatte ihre Pflicht erfüllt, als sie jünger und ein Faß von fünfzig Kilo gewesen war. Mrs. Dryden trug eine Sonnenbrille – es war unmöglich, festzustellen, wen sie ansah – und sprach nie. Den letzten Satz in meinem Beisein hatte sie vor ein paar Jahren gesprochen: ein verdrießliches Murren, weshalb dem Personal erlaubt sei, mit ihr in einem Raum zu sitzen. In Abständen rann ihr eine Träne über die Wange; die Drogen machten ihre Augen wässern. Das Haar war auf dem Kopf zusammengetürmt und wurde dort von einer goldenen Tiara festgehalten. Sie trug einen mit Brokatmuster geschmückten purpurnen Kaftan mit langen Ärmeln, und an Ohren, Hals und Händen so viele Juwelen wie die Statue von E. Während des Essens machte sie eine Bewegung zu ihrer Handtasche; Würger schob ihr den Ärmel hinauf, nahm die fertige Spritze aus dem Futteral und pumpte sie voll. Ich erinnerte mich an eine Zeit, als sie keine Drogen genommen hatte. Sie und Mister Dryden hatten einander während seiner Studienzeit in Yale kennengelernt. Sie hatte Wellesley besucht. Wie alle Ehefrauen von Besitzern, arbeitete sie nicht.
Als wir aßen, drangen die Klänge von ›Love Me Tender‹ aus den Lautsprechern. Die Augen des Alten Mannes verschleierten sich. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als sei ihm ein Stück heiße Süßkartoffel in der Kehle steckengeblieben und er wolle darauf aufmerksam machen. Er schickte sich an, Erinnerungen zum Besten zu geben, und wir alle wußten, an wen. Wir hörten die Geschichte, die er erzählen wollte, ungefähr sechsmal im Jahr, und das, seit ich für Mister Dryden arbeitete.
»Habe ich je erzählt, wie ich E begegnete?« sagte er und hob den Blick, um sich zu vergewissern, daß wir ihm Aufmerksamkeit schenkten. »Als er noch auf dieser Erde weilte?«
Wir schüttelten murmelnd den Kopf und starrten auf unsere Teller.
»Mindestens vierzigmal, Opa«, platzte Würger heraus; er hatte Blanche eine Hand hinten ins Höschen gesteckt. Der Alte Mann sah ihn mit einem Ausdruck beseligten Wohlwollens an, ignorierte ihn und begann zu erzählen.
»Als ich sechzehn war«, fing er an, »zog ich im Sommer mit ein paar anderen hinaus nach Oklahoma, um vielleicht Arbeit auf den Ölfeldern zu finden, die es damals dort draußen gab. Hielten unterwegs in Memphis, um zu übernachten. Wir fuhren hinüber nach Graceland, um zu sehen, ob Er zu Hause war. Es waren ein paar Wächter da und ein Haufen Leute lungerte draußen am Tor herum. Es war verflucht heiß. Die Jungs, mit denen ich war, wollten zurück zum Motel. Ich sagte, ich wollte noch eine Weile dableiben. Wußte selbst nicht, warum. Tat es einfach. Sie zogen ab. Sagten, ich könnte zu Fuß zum Motel zurückgehen, wenn ich müde würde. Dumme Scheißer.«
Mister Dryden rutschte vorwärts, näher zu den Speisen, aber auch näher zu seinem Vater – er wurde nie müde, diese Geschichte zu hören. Er arbeitete sich durch die Polster wie durch einen Schützengraben unter Beschuß.
»Ich setzte mich in der Nähe auf den Randstein. Das Komische war, je länger ich blieb, desto mehr wollte ich bleiben. Es wurde Abend und dunkel, und fast alle anderen gingen. Endlich schlossen die Wächter die Tore und gingen in ihr kleines Wachhaus. Fing an zu gießen, aber irgendwie konnte ich nicht gehen. Es war, als ob Gottes Hand mich dort festhielte, daß ich bleiben und Seinen Sohn treffen sollte. Ich muß aber wie ein verdammtes Arschloch ausgesehen haben, denn inzwischen war ich völlig durchnäßt.«
Ein gewisses Fluidum um Mrs. Dryden weckte in uns den Verdacht, daß sie sich erleichtert habe. Barney kam herüber, stellte sie auf die Füße, nahm sie über die Schulter und trug sie hinauf zu ihrem Zimmer, wo die Dienstmädchen sie säubern und zu Bett bringen konnten.
»Um Mitternacht kam ein
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