Ambient 03 - Ambient
Zange den Reißverschluß und zog ihn zu. Ich wußte, daß es Proxies gab, die sich im Zuge der vorgeschriebenen Avariotomie einen Teil ihres Dünndarms entfernen ließen, um engere Hosen tragen zu können, aber so fleißig war Avalon nie gewesen.
»Was tun wir?« fragte sie, als ich ihr auf die Füße half.
»Sie beobachten.«
»Beobachten?« sagte sie und spähte hinaus. »Sieh mal!«
Ich tat es; drei stiegen aus dem Wagen und kamen über die Straße, als wollten sie zu uns ins Haus.
»Miete ist fällig«, sagte ich und trat zurück.
»Willst du sie hier empfangen?«
»Ich würde es vorziehen, ihnen überhaupt nicht zu begegnen. Wir können hinaus, bevor sie heraufkommen. Komm mit!« Ich warf ihr eine von Enids besseren Jacken zu – eine aus fuchsienrotem Kunstleder – und zog mein Krylarmodell an. »Zieh die Jacke an und komm mit!«
»Wohin gehen wir?«
»Hinaus! Folge mir! Sei unbesorgt.«
Wir traten in den Hauseingang; ich hörte Lester unten reden. Da ich annehmen konnte, daß er und Ruben die Besucher lange genug aufhalten würden, sperrte ich zu, ging über den Treppenabsatz und stieß die Tür der Wohnung gegenüber auf. Vater hatte die Hausbesetzer hinausgeworfen, als wir eingezogen waren. Als später die Mieter ausgezogen waren, hatten wir diese Wohnung zugesperrt und leerstehen lassen. Die Zimmer waren noch so, wie die Mieter sie verlassen hatten, als ich ein junger Bursche gewesen war; nur an Stellen, wo Stuck und Verputz von Decken und Wänden gefallen war, zeigte der ursprüngliche Zustand eine Veränderung. Staub und Ruß lagen zentimeterdick auf den alten Möbeln und dem Fußboden; die Spinnweben waren vom Staub dick wie gesponnene Watte. Das einzige Licht, das durch die Ritzen der zugenagelten Fenster drang, legte blasse gelbgraue Streifen über Wände und Böden.
»In diesem ganzen Haus wohnt niemand außer euch beiden?«
»Über dem ersten Stock niemand«, sagte ich. »Ruben und Lester wohnen hinter dem Club.«
»Warum hast du dieses Haus ausgewählt?«
»Wir erbten es von unserem Vater. Es war alles, was ihm geblieben war«, sagte ich. »Er erklärte immer, man könne nicht verlieren, wenn man in New York Immobilienbesitz habe.«
»Was wurde aus ihm?«
»Ich weiß es nicht.« Wir kamen ins Schlafzimmer der Wohnung. Der Türknopf fiel ab, als ich ihn drehte, und ich mußte die Tür aufstoßen. »Er verschwand eines Nachts, nicht lange nachdem wir hier eingezogen waren. Jemand kann ihm draußen aufgelauert haben. Wir werden es nie erfahren. Ich glaube, er hatte sich nie an die veränderten Verhältnisse gewöhnen können. Er war ein weltgewandter Mann, aber es war nicht mehr seine Welt …« Ich öffnete das Fenster zum Luftschacht. Wir mußte beide niesen, als der Luftzug den dicken Staub aufwirbelte. Die Mauer gegenüber – sie gehörte zum Nachbarhaus – war kaum einen Meter entfernt; das Fenster drüben war bereits herausgebrochen.
»Du weißt, wohin wir gehen?« fragte sie, als ich ihr über den Fenstersims half.
»Klar«, sagte ich und kroch hinüber. Das andere Haus war in ausgezeichnetem Zustand; in jedem Stockwerk gab es einen Fußboden. Sobald wir das Dach erreichten, konnten wir hinüberlaufen und über die Feuerleiter zur nächsten Straße hinuntersteigen, fort von unseren Freunden.
Wir liefen die Treppe hinauf. Im fünften Stockwerk legten wir eine Verschnaufpause ein; einer Wohnung fehlte die Tür. Wir sahen hinein.
»Schamlos«, keuchte Avalon, »was, zum Teufel …«
In der Wohnung hatte ein Mann einen anderen an der Decke aufgehängt; der Hängende war mit Ketten gefesselt und ähnelte einem Kronleuchter. Der andere schlug fröhlich mit einer langen geflochtenen Peitsche drauflos. Er hörte Avalons Stimme und sah sich um. Von der Erregung des Augenblicks außer sich, drehte er um und rannte auf uns zu.
»Wir sind größer als er«, schnaufte sie, als wir die Treppe hinaufliefen.
»Mir egal«, antwortete ich und warf mich gegen die Tür zur Dachtreppe; sie brach aus den Scharnieren. Ein paar Häuser weiter hängten wir ihn ab. Wir wichen im Lauf den schwachen Stellen des Daches aus; er geriet im Eifer der Verfolgung auf eine Absenkung. Dumpf berstende Geräusche erreichten unsere Ohren, als er durch die morschen Böden der Stockwerke brach. Wir verlangsamten unseren Schritt und arbeiteten uns weiter vor. Mit kurzen Sprüngen da und dort erreichten wir schließlich die andere Seite des Blocks.
»Die Feuerleiter hinunter«, sagte ich. »Sei
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