Ambient 04 - Terraplane
Grobheit und Ungestüm. Selbstbeherrschung. Das sind Forderungen, nicht Vorschläge, Jake.«
»Benehmen wie in der Dritten Welt?«
»Das mußt du. Wir sind hier in unschuldigen Zeiten, Jake. Vergiß nicht, daß wir schlimmer infizieren können als sie.«
»Neue Scheinwerfer in Sicht, Luther. Arm hoch!«
Ich stand auf dem geschotterten Bankett, reckte beide Arme hoch und gestikulierte. Ein Lastwagen rumpelte vorüber, eine miasmatische dunkle Wolke ausstoßend; auf der Ladefläche rasselte eine volle Ladung Flaschen, die gegeneinander und gegen die Holzplanken der Ladefläche stießen. Zwei weitere Wagen folgten ihm: der eine war von einer Stoßstange zur anderen eine einzige fließende Kurve, mit geschwungenen Chromverzierungen, die anscheinend von den Bedürfnissen des Windes entworfen waren; der andere zeigte Alterserscheinungen und ähnelte einem der See entfremdeten Boot, als er auf Speichenrädern daherholperte. Sein rissiges Stoffdach beschirmte die Passagiere wie ein herabgefallenes Segel.
»Einer hätte anhalten können«, sagte ich, als sie sich entfernten.
»Um von Straßenräubern abgestochen und ausgenommen zu werden?« fragte Jake. »Tiefe Furcht, zweifelsohne. Anderes erwartet vom König der Angst?«
»Hör auf, den Dingen vorzugreifen, Jake«, sagte ich. »Hat keinen Zweck, die Paranoia unserer Zeit hier zu vertropfen.«
»Weise Worte, Luther. Da kommt wieder einer.« Ich richtete mich abermals auf und winkte; der Fahrer blendete die Scheinwerfer auf, als signalisiere er einen Gruß. Aufgemuntert durch die Reaktion, wandte ich mich um und nickte Jake zu, aber er zog sich selbst und Oktobrjana hastig hinter das Schutzgeländer. Der Wagen beschleunigte und fuhr mit den äußeren Rädern auf das Bankett, wo die Reifen Staub und Schotter aufwirbelten, wo ich gestanden hatte, bevor ich mich über die Böschung hinausgeworfen hatte und an ihrem Fuß in nasser Sicherheit ausrollte. Sie lachten, als sie weiterfuhren; ich hörte unerwartete Rufe.
»Nigger!« riefen sie. »Hab ihn!« Galle brannte mir in der Kehle, als ich meine schmerzenden Glieder wieder zur Straße hinaufschleppte, zusammenzuckend unter neuen Schmerzen, die alte wiederbelebten. Jake und Oktobrjana saßen wieder an ihrem Platz; er schien nicht überrascht. Die Straße lag still und ruhig, ein gefrorener Fluß im Mondlicht.
»Siehst du?« sagte ich. »Hast du gehört?«
»Wie vorgewarnt«, sagte Jake. »Verlierer treiben sich nachts auf den Straßen herum, Luther.«
»Hast du seinen Ruf gehört?«
»Da kommt wieder einer«, sagte er und äugte zum Horizont, wo weiße Lichtpunkte erschienen waren. Diesmal bedurfte es keines Gestikulierens, um den Fahrer zum Anhalten zu bringen; er verlangsamte im Vorbeifahren, hielt zweihundert Meter weiter am Straßenrand und fuhr rückwärts heran.
»Bereite dich vor, Jake«, sagte ich.
»Bin vorbereitet«, sagte er. »Doppelt und dreifach.« Er steckte seine unversehrte Hand unter den Mantel und stand Wache vor Oktobrjanas kleinem Bündel. Der Wagen hielt unter der Straßenlaterne, der Motor wurde ausgeschaltet. Die Karosserie erhob sich kastenförmig von den enormen Stoßstangen und zeigte Rundungen nur an den Kotflügeln, dem Dach und dem Kofferraum. Das Nummernschild, an einem Arm über dem linken Hecklicht befestigt, zeigte die Aufschrift New York Weltausstellung 1939. Die Tür der Fahrerkabine öffnete sich von vorn, statt in der Mitte, und erlaubte klaren Blick auf den Fahrer, als er ausstieg. Ein leises Klicken zeigte an, daß Jake seine Waffe entsichert hatte.
»Ihr Leute braucht Hilfe?« fragte er in einem tiefen Bariton. Unter seiner dünnen Jacke und der dunklen Hutkrempe erwies er sich als groß, breit und dunkelhäutig. Auf seiner Oberlippe lag ein Schnurrbart wie eine schlafende Raupe.
»Erforderlich«, sagte ich. »Verarztung ist ein Muß. Bitte helfen Sie.«
»Spitalisieren Sie uns«, fing Jake an. Oktobrjana stöhnte mit dem Nachlassen der Arzneiwirkung. Der Mann musterte uns, stand still und ruhig, als posiere er für ein Porträt.
»Sie haben eine Frau dabei?« sagte er. »Wollen Sie gegen das Mann-Gesetz protestieren oder was? Auf die Weise werden Sie in mächtig heißes Wasser kommen.«
Jake richtete sich auf, die Hand noch verborgen. »Transportieren Sie uns. Sie hat übergroße Schmerzen. Helfen Sie jetzt oder helfen Sie nie.«
»Jake!« sagte ich, um Schlimmeres zu verhüten. »Spitalisieren Sie uns bitte, wenn möglich. Wir werden entschädigen. Es ist zweimal
Weitere Kostenlose Bücher