Ambler by Ambler
und Batterien schon längst alle. Ich dachte kurz daran, mal nachzusehen, als der Klang der herbeifliegenden Granaten sich veränderte und auf der Piazza mehrere gleichzeitig einzuschlagen schienen. Ich warf mich nicht gleich auf die Erde, wie ich es sonst getan hätte. Ich setzte zuerst das gesunde Knie auf die Erde und streckte mich dann ungelenk nach vorne, wobei ich die Nase gegen den linken Arm preßte. Steinsplitter regneten auf mich herab, und ich hatte das Gefühl, daß meine Trommelfelle geplatzt waren. Ich konnte bestimmt nicht mehr viel hören, bildete mir aber ein, daß ich das Jaulen einer weiteren Granate hörte. Das war der Augenblick, da mich mein Unterbewußtsein auf ganz tückische Weise hereinlegte. Ich hörte mich sagen »In Deine Hände befehle ich meinen Geist«. Ich sagte es laut.
Kaum hatte ich erkannt, daß ich nicht zerfetzt war und nicht auf der Stelle sterben würde und auch nicht den kleinsten Kratzer davongetragen hatte, schämte ich mich zutiefst. Ein Bewunderer von Winwood Reade hätte so etwas nicht sagen dürfen, nicht einmal unter Streß. Es war sentimental und feige. Erst später stellte ich fest, daß der Ausspruch einem Psalm entnommen war und auch im Gebetbuch stand. Aus einem Geschichtsbuch, das wir in der Schule gelesen hatten, wußte ich, daß zu Zeiten der Tudors Leute, die wenig später im Tower enthauptet werden sollten, diesen Satz gesprochen hatten. Ich beschloß, während ich den Staub von meinen Sachen klopfte, niemand davon zu erzählen, niemals.
Das lag nicht nur daran, daß ich mich schämte, plötzlich nur noch Todesangst verspürt zu haben, sondern auch an Louises Cousin Hank. Er war Pfarrer, aber auch Sekretär des Weltkirchenrates und kam in dieser Funktion manchmal nach England. Ich hatte mit ihm eine ziemlich erregte Debatte geführt (d. h. erregt war ich, er war nachsichtig), nachdem er von einem Militärgeistlichen gesprochen hatte, der gesagt haben soll, »in den Schützengräben gibt es keine Atheisten«. Ein Militärgeistlicher? Alle würden sie das sagen, oder zumindest etwas Ähnliches. Sie sagten ohnehin nichts anderes. Sie waren entzückt darüber, daß sich ihr komplexer Aberglaube durch den Krieg auf so einfache und schnelle Weise bestätigte.
Der Keller, den John und Jules gefunden hatten, sah wie die Krypta einer Kirche aus und konnte durchaus eine gewesen sein. Er bestand aus zwei Ebenen, von denen die untere Ausbuchtungen im Mauerwerk hatte, bei denen es sich um Grabnischen gehandelt haben könnte.
John hockte in einer dieser Nischen und rief mich zu sich hinunter. Ich weigerte mich. Abgesehen davon, daß ich keine Lust hatte, auf der ramponierten Steintreppe herunterzuturnen, behagte mir die Vorstellung, dort unten von herabfallenden Trümmern begraben zu werden, nicht besonders. Es war eine klassische Szene aus einem konventionellen B-Movie: morsches Gebälk, darüber der Geist eines Requisitenassistenten, der jedesmal, wenn eine Granate einschlägt, einige Handvoll Staub herabrieseln läßt.
Die Zivilbevölkerung bestand aus einem abgemagerten Alten, zwei erschöpften Frauen mittleren Alters sowie drei ruhigen und sehr schmutzigen Kindern. Der alte Mann sorgte sich um mein Bein. » Ferito? « fragte er. Ich schüttelte den Kopf. Nein, nicht verwundet. Ich machte ihm per Zeichensprache klar, daß ich unglücklich gefallen war. Er ging sofort los und holte mir einen etwas wackligen Stuhl. Ich zögerte. Ich wußte, daß es sein Stuhl war, aber das war nicht der Grund meines Zögerns. Der Stuhl hatte eine geflochtene Sitzfläche, in der es von Läusen nur so wimmelte. Vielleicht waren es ja keine Kleiderläuse, aber ich wollte nichts riskieren. Ich dachte an die Mühsal, sie wieder loszuwerden. Ich weigerte mich, Platz zu nehmen, aber um ihm zu zeigen, daß ich für seine Geste dankbar war, bot ich ihm eine Zigarette an. Bald stellte ich fest, daß er sich nicht kratzte, und fragte mich, wie ich ihn dazu bringen konnte, sein Angebot zu erneuern. In meinem linken Bein machte sich ein Krampf bemerkbar. Dann, als der schwere Beschuß aufhörte, ließ John sich überreden, aus seiner Nische hochzukommen. Wir waren alle dafür abzuhauen. John und Jules würden sich die Kamera schnappen, und ich würde so schnell wie möglich zum Jeep rennen. Ich gab dem alten Mann meine Zigaretten, und dann liefen wir los.
Die Schwierigkeiten fingen an, als wir im Jeep saßen und auf die Straße kamen. In diesem Moment fuhren mehrere Jeeps mit Karacho aus San
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