Ambler by Ambler
Gestapostelle eine harte Linie vertrat. Nachdem ihr Todesurteil in lebenslänglich umgewandelt worden war, hatte man sie sofort den normalen Justizbehörden überstellt, die sie in ein Frauengefängnis in Süddeutschland einlieferten.
Dort hatte sie drei Jahre verbracht. Die Arbeit, die ihre Häftlingsgruppe zu verrichten hatte, bestand darin, die Wollsocken der Wehrmacht zu waschen und zu stopfen. Win hatte den Kampf auf Seiten der Alliierten fortgeführt, indem sie in die Ferse einer jeden Militärsocke, die durch ihre Hände ging, einen schwielenproduzierenden Knoten gestopft hatte.
Die Gefängnistore wurden ihnen 1945 von amerikanischen Soldaten geöffnet, die anfänglich glaubten, sie befreiten politische Gefangene. Win blieb noch ein paar Wochen dort, fungierte als Dolmetscherin für den amerikanischen Ortskommandanten und half, die Diebe und Mörder von den Prostituierten und Geisteskranken zu trennen, bevor sie mit einem Laissez-Passer nach Paris zurückkehrte. Ihr Büro war längst geplündert worden, und die Concierge von früher war verschwunden, aber Win war bereit, in ihr Geschäft sofort wieder einzusteigen. Nur über eines beklagte sie sich: ihr Anwalt habe ihr mitgeteilt, daß fortan zwei getrennte Bücher geführt werden müßten, eins für sie selbst und das andere für das Finanzamt. Bislang hatte sie diese Art von Betrug in Frankreich für überflüssig gehalten.
Die Nachkriegs-Win war ein reiferer Mensch als die Win, die wir von früher kannten. Sie war mit sich selbst ins reine gekommen und konnte freimütig von den alten Zeiten erzählen. Unter anderem erzählte sie uns, wie sie in den dreißiger Jahren an der Suche nach einer verschollenen Person beteiligt war, die in Amerika eine Erbschaft antreten sollte. Win war von einem amerikanischen Anwalt namens Starr als dreisprachige Dolmetscherin engagiert worden, die ihm bei der Prüfung von Erbschaftsforderungen helfen und in ganz Europa vertrauliche Recherchen anstellen sollte. Bei diesen, zum Teil recht komplizierten, Nachforschungen mußten manchmal offizielle Urkunden aus napoleonischen Zeiten hinzugezogen werden. Anwalt Starr war gestorben, bevor ein rechtmäßiger Erbe ausfindig gemacht werden konnte. Sie meinte, die Nazis seien hinter dem Geld her gewesen, und fragte sich, ob die Suche jemals wieder aufgenommen würde.
Ich wußte, daß sie wieder aufgenommen würde, allerdings in Romanform und von mir. Win reagierte amüsiert, als ich ihr davon erzählte. Wir hatten unseren Frieden geschlossen. Ich durfte ihr Fragen über die Suche stellen, und sie berichtete mir detailliert über einige der Probleme.
Das Buch, das ich darüber schrieb, war Schirmers Erbschaft , aber ich habe es nicht sofort geschrieben. Im letzten Kriegsjahr hatte unsere Freundin Lesley Blanch den Schriftsteller Romain Gary, damals Luftwaffenoffizier bei den Freien Französischen Streitkräften, kennengelernt und geheiratet. Bei Kriegsende hatte man Romain eingeladen, in den französischen diplomatischen Dienst einzutreten. Er und Lesley waren an der Botschaft in Sofia, als die von Stalin angeordneten bulgarischen Schauprozesse dort abgehalten wurden. Romain nahm an diesen Prozessen als diplomatischer Beobachter Frankreichs teil. Später in Paris berichtete er mir, mit welchen Methoden der Staatsanwalt die Angeklagten beeinflußt und unter Druck gesetzt hatte. Einer von ihnen war Diabetiker. Auf Anordnung des Staatsanwalts wurde diesem Häftling während des Prozesses von der Gefängnisverwaltung das Insulin vorenthalten.
Das Buch, in dem ich die Information verwendete, Der Fall Deltschev , ist als antistalinistischer, sozialistischer Roman bezeichnet worden, eine durchaus schmeichelhafte Beschreibung. Für mich stellte es eine erfreuliche Rückkehr zum Thrillerschreiben dar.
In Amerika stieß es auf ein gemischtes Echo. Warum, so wurde immer wieder gefragt, hatte ich nicht einen zweiten Dimitrios geschrieben. Dieselbe Mischung wie zuvor? Nein, natürlich nicht, ein Buch eben wie Dimitrios oder vielleicht Die Angst reist mit . Sei das hier nun ein normaler Roman oder ein Krimi? Sei es ein Triumph oder eine Katastrophe? Ein amerikanischer Leser schrieb mir, um meine Aufmerksamkeit auf das Werk eines New Yorker Psychoanalytikers zu lenken, der sich auf geistige Blockaden bei Schriftstellern spezialisierte.
Die Briefe, die ich aus England zu dem Buch bekam, waren allesamt mehr oder weniger beleidigend. Ich sei ein Verräter im Klassenkampf, ein titoistischer Lakai und
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