Ambler by Ambler
aufrechterhalten, als wir gewöhnliche Hemden und Zivilmäntel trügen. Die Polizeiarmbinde sei während des Dienstes auf dem linken Mantelärmel zu tragen.
In dieser merkwürdigen Aufmachung marschierten wir kompanieweise durch die City, überwiegend im Zeitungsviertel um Fleet Street. Wir marschierten im üblichen zackigen Landerschritt, gekonnt wie immer, doch das Aufsehen, das wir erregten, galt zumeist unserer ungewöhnlichen Uniform. Offenkundig waren wir Soldaten, aber Soldaten in der Verkleidung einer Sonderpolizei. Warum? Die Menschen musterten uns eher neugierig als feindselig. Vor dem Gebäude der ›Morning Post‹, auf deren Maschinen Winston Churchill seine ›British Gazette‹ drucken ließ, wurden wir sogar mit Beifall begrüßt. Der Beifall kam indes nicht von der Straße, sondern von ein paar anscheinend wohlhabenden Gentlemen in hohem weißen Kragen und Gehrock, die im Fond eines Crossley-Halblandauers standen und die Szene beobachteten. »Gut so, Jungs!« riefen sie. »Weiter so! Jetzt zeigt’s ihnen mal! Gut so, Jungs!«
Wir alle blickten unverwandt nach vorne. Niemand lächelte. Wir waren stolz darauf, gut marschieren zu können und einen disziplinierten Eindruck zu machen, aber nicht darauf, Beifall von Politikern zu bekommen, die nach dem Blut von Streikenden riefen. Es glaubte ja auch niemand daran, daß die Büros der ›Morning Post‹ unseres Schutzes bedurften. Im Zeitungsviertel drohte nur von einer Seite Gewalt, nämlich von uns, und sie richtete sich bald gegen das Gebäude des ›Daily Herald‹, wo der Trades Union Congress eine Streikzeitung mit dem Namen ›British Worker‹ herauszubringen versuchte. Wir »schützten« das Gebäude des ›Herald‹ in drei aufeinanderfolgenden Nächten und wurden von den versöhnlich gestimmten Leuten drinnen zum Dank mit Tee versorgt.
Als der Streik vorbei war, wollte ich wieder zurück ans College, aber es war irgendwie nicht mehr dasselbe. Man erzählte sich von Studenten mit Diplom, denen von der Industrie drei Pfund die Woche angeboten wurden und die den Job mit Handkuß nahmen. Die große Wirtschaftskrise kündigte sich schon an. Ein Teil dieser Geschichten dürfte wahr gewesen sein.
Wahr oder nicht, jedenfalls wollte ich so meinen Vater davon überzeugen, daß er die ganze Zeit recht gehabt hätte, daß ich mir nach der Schule eine Arbeit hätte suchen und einen anständigen Lebensunterhalt verdienen sollen.
»Und was?« fragte er.
»Irgendwas, wo ich mit den Händen arbeite.«
»Körperliche Arbeit?«
Er versuchte, die Situation zu entkrampfen, indem er mich an einen alten Gag von The Harmoniques erinnerte. »Der faule Alfonso? Was heißt hier faul? Alfonso ist einfach dumm. Er ist so dumm, daß er bei dem Wort körperliche Arbeit rot wird, weil er glaubt, daß es was Unanständiges ist.«
Doch mir war nicht nach Lachen zumute. »Ich möchte mit den Händen in einer Fabrik arbeiten«, sagte ich. »Ich habe an eine Lehre als Werkzeugmacher gedacht.«
Ihm so etwas zu sagen, war hart. Er spielte mehrere Musikinstrumente und konnte mit Marionetten umgehen und wußte sogar ein paar Taschenspielertricks. Er war sehr geschickt mit den Händen, aber bei Werkzeugen mußte er passen. Vielleicht lag es daran, daß er schlechte Augen hatte. Er war auch ein schlechter Autofahrer. Er hatte diese Unzulänglichkeiten erkannt und machte sich ihretwegen keine Sorgen. Worum er sich sorgte, war, daß seine Kinder (so gut er es eben verstand) in der Welt vorankommen sollten, daß sie die bürgerliche Erfolgsleiter emporsteigen und zu den gutangezogenen Leuten mit sauberer Unterwäsche und sauberen Fingernägeln zählen sollten. Was ich sagte, war auch deswegen hart, weil ihm bereits sein erstes Magengeschwür zu schaffen machte. Während einer Geschäftsreise nach Amerika hatte er sich mit einer Rippenfellentzündung ins Bett legen müssen. Die ewigen Anstrengungen des Aufstiegs waren offenbar zu viel für ihn. Er hatte nicht mehr lange zu leben. Er wußte es wohl schon.
Aber er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, daß ich als Fabrikarbeiter endete und meine Hände schmutzig machte und nichts dabei fand, zu Hause mit Fahrradclips herumzulaufen. Also wandte er sich an seine zahlreichen Freunde, und man dachte sich etwas aus für mich. Die Edison Swan Electric Company, jenes Unternehmen, das sich rühmte, »Elektroartikel jeglicher Art« herzustellen, hatte in ihrer Fabrik draußen in Ponders End einen kernigen, unerschrockenen Werkleiter, der
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