Ambler by Ambler
Tochter von Will Dyson, dem Karikaturisten des Londoner ›Daily Herald‹, und war zur Welt gekommen, als er für das Sidneyer ›Bulletin‹ arbeitete. Ihre Mutter war eine geborene Lindsay, eine der talentierten australischen Lindsays, und Betty war stolz auf diesen Zweig ihrer Familie. Red Heap , der Roman ihres Onkels Norman, erregte dort drüben noch immer Aufsehen. Sie wohnte mit ihrem Vater in einem Haus in der Fulham Road, in dem nördlichen Teil. Sein Arbeitszimmer lag im zweiten Stock, das ihre im Erdgeschoß, obwohl sie es in jenem Winter nur selten benutzte. Sie war von Lilian Baylis für eine Spielzeit als Kostümbildnerin ans Old Vic geholt worden und hatte festgestellt, daß sie im Theater besser arbeiten konnte.
Ein Klatschautor, der Betty ein paarmal getroffen hatte, schrieb in seinen Memoiren, die nach ihrem Tod veröffentlicht wurden, sie sei »ein Mädchen von seltsamen Entschlüssen und recht lockerer Moral« gewesen. Diesem schulmeisterlichen Urteil schloß sich die Behauptung an, sie sei der Talentsucher gewesen, der meine Füße auf die literarische Erfolgsleiter gesetzt habe. Sie sei auch »überschwenglich und eigenwillig« gewesen.
Überschwenglich? Nun ja, vermutlich war sie das, zumindest dürfte sie so gewirkt haben, wenn sie in Bestform war und sich auf einer Party amüsierte. Eigenwillig? Das dürfte eindeutig ein Euphemismus sein.
Betty war nicht streitsüchtig, sondern temperamentvoll, und sie bediente sich einer vulgären Sprache, auch in der Öffentlichkeit. Wenn sie einmal loslegte, drehten sich die Leute nach ihr um und starrten sie an. Wie konnte dieser niedliche Blondschopf, der so ein intelligentes Gesicht hatte, einen so verwirrend anlächelte und so klare Augen hatte, nur so ordinäre Ausdrücke verwenden! Er konnte, und zwar mühelos. Betty wollte niemanden vor den Kopf stoßen. Ihr war es egal, was Fremde von ihr dachten. Wenn ihnen nicht paßte, was sie da hörten, dann sollten sie halt nicht zuhören. Auch im Französischen, das sie fließend sprach, verfügte sie über einen Fundus von derart vulgären Ausdrücken, daß sie selbst in Paris auffiel. Im ›La Coupole‹ erklärte eine etwas indignierte Dame am Nebentisch einmal laut und vernehmlich, Betty sei mal élevée.
Vielleicht. Ihre Mutter war gestorben, als sie noch klein war, und Bill, wie sie ihren Vater immer genannt hatte, war als Pressezeichner beim Australischen Armeekorps. Sie war zu Verwandten in Pflege gegeben worden. Als ich Betty und Bill kennenlernte, wirkten sie eher wie ein Paar, das sich schließlich zu einer Scheidung durchgerungen hatte, und weniger wie Vater und Tochter. Es gab noch immer Verbindendes. Ihr Respekt für ihn als Künstler war unvermindert. Noch immer bewunderte sie den Witz und die Kraft seiner besten Karikaturen. Sie wußte, daß sie nie so gut würde zeichnen können wie er. Sie hatte ihm sogar verziehen, daß er sich vom radikalen Sozialismus gelöst und dem Märchen vom Sozialkredit zugewandt hatte. Was sie allerdings weder tolerieren noch verzeihen konnte, war seine Ablehnung ihres sozialen Verhaltens.
Betty hatte zahlreiche asiatische Freunde, Hindus zumeist, und war an hinduistischer Kunst und Kultur lebhaft interessiert. Es war ein aufrichtiges und engagiertes Interesse, obschon es zweifellos vertieft worden war durch eine längere Affäre mit dem indischen Tänzer Uday Shankar.
Weder über dieses noch über irgendein anderes Verhältnis sprach sie mit Diskretion. Diskret sein hieß für Betty, sich zu entschuldigen. Ungeachtet seines Radikalismus war Bill ein weißer Australier mit den rassistischen Vorurteilen seiner Generation. Betty war stolz auf ihre asiatischen Freunde, sie verachtete das englischsprachige Commonwealth und betrachtete sich als freien Menschen. Für ihren Vater war sie ein unfreundliches, selbstzerstörerisches Weibsbild.
Wenn sie spätabends noch im Theater zu tun hatte und ein Botenjunge des ›Herald‹ alle Karikaturen für die Ausgabe des nächsten Tages abgeholt hatte, wurde ich, während ich auf Betty wartete, von Bill manchmal zu einem Drink eingeladen. Er wußte von der Wohnung in Pimlico, weil Betty ein paar Gavarni-Drucke mitgenommen hatte, um sie dort aufzuhängen, doch er hätte mir nie zu erkennen gegeben, daß er Bescheid wußte. Wir unterhielten uns meistens über die schlechten Nachrichten aus dem Ausland und über die Probleme bei der Hilfe für deutsche Emigranten. Ein-, zweimal erzählte er mir Geschichten von der
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