Ambler by Ambler
war mit dem Schiff zu einem Staatsbesuch nach Frankreich gekommen und in Marseille am Kai vom französischen Außenminister, Berthou, empfangen worden. Der feierliche Konvoi war langsam die Canebière hinaufgefahren, als plötzlich der Kroate losrannte und seine Pistole auf den Fond des offenen Automobils abfeuerte. Er hatte den König und Berthou tödlich getroffen, bevor er selbst von einem säbelschwingenden Offizier der Eskorte erledigt wurde. Es war eine blutige Geschichte. Ich dachte mir, wenn er mein Hotelzimmer genommen und ein Gewehr verwendet hätte, dann hätte er vielleicht entkommen können.
Ich habe mir die Wochenschau mehrere Male angesehen und aus Zeitungen Bilder dieser Szene ausgeschnitten. Ich spürte eine seltsame Schuld, aber auch Freude. Unter der Sonne des Südens lebten fremdartige und gewalttätige Männer, mit denen ich mich identifizieren konnte und denen ich mich jetzt irgendwie verbunden fühlte.
In diesem Winter wurde ich von Arzneimitteln zu Babynahrung befördert, und ich schrieb mein erstes Buch. Es war ein Leitfaden für werdende Mütter über die Probleme der Schwangerschaft und wurde von den Babynahrungsleuten veröffentlicht, die es gratis an all diejenigen verschickten, die einen Coupon eingesandt hatten. Natürlich habe ich den Leitfaden nicht wirklich geschrieben. Ich hatte eine ältere Auflage genommen, sie revidiert und umformuliert und mit Material aus jüngeren gynäkologischen Untersuchungen angereichert. Ich sorgte dafür, daß das Ganze leichter und weniger deprimierend zu lesen war. Und es machte mir Spaß. Die ältere Ausgabe war auf jeder Seite mit Sinnsprüchen zum Thema Mutterschaft versehen worden. Sie wirkten kitschig und schienen größtenteils von Leuten zu stammen, die sich Texte für Glückwunschkarten ausdenken. Viele der zitierten Verfasser hatten unbekannte und wenig überzeugend klingende Namen wie Janice Barton Proudfoot, und offenbar waren sie von meinem Vorgänger erfunden worden. Da die neue Auflage den doppelten Umfang hatte, mußte ich ein paar eigene Autoren erfinden. Die Überschriften gingen noch ziemlich einfach. »Kinder verleihen Unsterblichkeit« war eine Paraphrase auf Santayana. Ich schrieb den Ausspruch Jeremiah Cleat zu, dem Weisen aus Cornwall, weiß heute aber nicht mehr, ob ich ihn verwendete oder verwarf.
Ebensowenig erinnere ich mich an den Titel eines Einakters, den ich etwa zur selben Zeit für Madam Ginnett schrieb. Ich erinnere mich noch an die Handlung, weil ich sie bei Leo Perutz, einem österreichischen Schriftsteller, gestohlen hatte. Ein Mann flieht aus dem Polizeigewahrsam und versucht einen Tag und eine Nacht lang, sich aus seinen Handschellen zu befreien. Perutz schrieb das als Thriller der Art, wie er bei deutschen Filmregisseuren der damaligen Zeit beliebt war – eine Menge billiger Außenaufnahmen, durchsetzt mit hochkarätigen Atelierszenen. Ich machte ein vierzigminütiges Stück daraus. Ort der Handlung war ein Teegeschäft. Alan Martin Harvey spielte den Mann in Handschellen, und Guildhall-Studenten übernahmen die anderen Rollen. Den Zuschauern schien es zu gefallen, und Madam belohnte mich, wie sie versprochen hatte – allerdings nicht mit einem Regieauftrag, sondern mit etwas anderem, was ich in diesem Augenblick viel dringender brauchte. Es war ein alter Teppich, der in ihrem Keller herumlag. Ihr Mann sagte, ich könnte ihn umsonst haben, wenn ich ihn abholte. Ich holte ihn sofort ab. Ich brauchte den Teppich, um in meinem Zimmer in Pimlico ein paar nackte Dielen zu bedecken.
Ich hatte Betty Dyson kennengelernt und war Proband. Sie hatte etwas gegen die Prüderie englischer Hotels. Ich müßte unbedingt ein eigenes Zimmer haben, sagte sie.
Ich, 1909 . Die besorgte Hand links am Bildrand gehört meiner Mutter. Meines Erachtens weist dieses Kinderporträt schon sehr deutlich auf spätere Eigenschaften des Mannes hin – eine gewisse Verdrießlichkeit und eine Neigung zur Rundlichkeit.
Mein Vater und meine Mutter etwa zur Zeit ihrer Heirat ( 1906 ). Mein Vater wurde als ältester Sohn eines Korrektors und einer Fabrikarbeiterin in Lancashire geboren. Als Zwölfjähriger ging er von der Schule ab, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und war weitgehend Autodidakt; ein wohlgesonnener Chormeister förderte allerdings sein großes musikalisches Talent und machte aus ihm einen tüchtigen Organisten, der für Geld auftreten konnte. Meine Mutter lernte er kennen, nachdem seine
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