Ambler-Warnung
unbeweglich. »Sie bestätigen unsere bisherigen Vermutungen, liefern aber keine eindeutigen Beweise«, sagte sie vorsichtig. »Aber in Kombination mit den anderen Daten unterstützen sie unsere bisherige Einschätzung.«
»Was hat dein Team bei der Bildanalyse herausgefunden, Randall?«, fragte Zackheim einen blassen jungen Mann, der mit gebeugten Schultern am Tisch saß.
»Sie haben die Bilder auf zwanzig verschiedene Arten verifiziert«, antwortete Randall Denning, der Experte für Bildanalyse.
»Sie sind authentisch. Sie zeigen ein Subjekt, das Chandlers Leute als Tarquin identifiziert haben, bei der Ankunft am Flughafen Montreal-Dorval, nur wenige Stunden vor dem Attentat auf Kurt Sollinger. Wir haben die Authentizität des Überwachungsvideos geprüft und sehen keine signifikante Unsicherheit.« Er schob die Montreal-Fotos zu Zackheim, der sie sich genau ansah, obwohl er wusste, dass er mit bloßem Auge nichts entdecken würde, was der Abteilung für Bildanalyse und ihren computergestützten Analysemethoden entgangen sein könnte.
»Das Gleiche gilt für die Bilder aus dem Jardin du Luxembourg, die vor etwa vier Stunden aufgenommen wurden«, fuhr Denning fort.
»Sind Fotos nicht manchmal irreführend?« Zackheim sah ihn fragend an.
»Es geht nicht nur um das Foto als Objekt, sondern um unsere Fähigkeit, es zu interpretieren. Und die ist in den letzten Jahren unvergleichlich viel besser geworden als früher. Unsere Computer achten auf Schwellenwerte, Randanalyse, alle möglichen Sättigungsgrade. Sie registrieren Varianzen, die sogar die meisten Experten übersehen würden.«
»Drücke dich gefälligst so aus, dass man dich versteht«, unterbrach ihn Zackheim.
Achselzuckend erwiderte Denning: »Du musst dir dieses eine Bild als eine enorm große Ansammlung einzelner Informationen vorstellen. Das Muster der Baumzweige, das Harz und die Flechten am Stamm – all das verändert sich täglich. Ein einfacher Baum sieht nie zwei Tage hintereinander gleich aus. Und hier haben wir eine komplexe Verteilung unterschiedlichster Objekte. Das Terrain hat eine sehr spezielle Kontur, die Schattenmuster sagen uns nicht nur, zu welcher Tageszeit das Bild aufgenommen wurde, sondern enthalten
auch noch unzählige Informationen über ansonsten unauffällige Objekte.« Er deutete mit einem schwarzen Stift auf den unteren Bildrand. »In der Vergrößerung sieht man hier einen Kronkorken, etwa drei Zentimeter vom Kiesweg entfernt. Einen Orangina-Kronkorken. Und der lag gestern noch nicht dort.«
Zackheim trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf den Tisch. »Das ist ja kein besonders aufregendes Indiz ...«
»In meiner Abteilung nennen wir solche Details den ›täglichen Detritus<, alles, was sich von Tag zu Tag so ansammelt. Und nur diese Details machen Echtzeit-Archäologie überhaupt möglich.«
Zackheim sah ihn grimmig an. »Wir sind dabei, etwas anzuordnen, das so schrecklich und irreversibel ist wie ein Herzinfarkt. Ich muss sicherstellen, dass wir alle Eventualitäten berücksichtigt haben. Bevor wir Tarquin als >unrettbar< einstufen, müssen wir jede Einzelheit gewissenhaft untersuchen.«
»Sicherheit gibt es nur in Arithmetik-Lehrbüchern.« Der Sprecher war ein beleibter Mann mit kugelförmigem Kopf, der eine schwere schwarze Hornbrille trug. Sein Name war Matthew Wexler, und er gehörte seit zwanzig Jahren dem INR, der nachrichtendienstlichen Abteilung des Außenministeriums, an. Ein unscheinbarer, oft ungepflegt wirkender Mann, der aber einen ungeheuer scharfen Intellekt besaß, den ein ehemaliger Außenminister einmal mit einem Mähdrescher verglichen hatte. Wexler hatte die beinahe unheimliche Fähigkeit, riesige Datenmengen aufzunehmen, und aus ihnen klare, treffende Aussagen zu destillieren. Er übersetzte Daten in Anleitungen zum Handeln und er war sehr entscheidungsfreudig. In Washington waren solche Männer sehr selten, sehr gefragt und dementsprechend hoch geschätzt. »In der realen
Welt der Entscheidungsfindung existiert so etwas wie Sicherheit nicht. Erst zu handeln, wenn man ganz sicher ist, bedeutet, viel zu spät zu handeln und wirkungslos zu werden. >Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung<, den Spruch gibt es nicht ohne Grund. Ohne Informationen kann man nichts entscheiden. Aber man kann eine Entscheidung nicht erst treffen, wenn man alle Informationen hat. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es einen Gradienten. Verantwortungsbewusstes Handeln ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit,
Weitere Kostenlose Bücher