Ambler-Warnung
so ungeheuer zerbrechlich, und doch kannte er nichts Stärkeres.
Ihm kam es vor wie ein kleines Wunder. Sie erschufen sich aus dem Nichts eine Art Normalität; sie redeten miteinander, als würden sie sich seit Jahren kennen. Wenn sie schliefen - gestern erst war ihm das bewusst geworden -, schmiegten sich ihre Körper ganz selbstverständlich aneinander. Ihre Gliedmaßen umschlangen sich, als seien sie dafür geschaffen. Wenn sie sich liebten, wenn sich ihre Körper miteinander vereinigten, spürte er Ekstase und Entzücken und manchmal sogar etwas noch Selteneres, Flüchtigeres: Klarheit, Ruhe, Seligkeit.
»Bei dir fühle ich mich sicher«, sagte Laurel, als sie sich unter
der Decke aneinanderkuschelten. »Oder kränke ich dich, wenn ich so etwas sage?«
»Nein. Aber du forderst das Schicksal vielleicht heraus«, erwiderte Ambler mit einem kleinen Lächeln. Tatsächlich hatte er sich überlegt, ob sie das Hotel wechseln sollten. Aber wahrscheinlich war es riskanter, sich noch einmal woanders zu registrieren, als einfach hierzubleiben.
»Du wusstest ohnehin, wie ich mich fühle, oder?«
Ambler antwortete nicht.
»Seltsam«, sagte sie. »Es kommt mir so vor, als wüsstest du einfach alles über mich, obwohl das nicht sein kann.«
Meine Ariadne, dachte er. Meine schöne Ariadne. »In jedem Leben gibt es Fakten und Wahrheiten. Die Fakten kenne ich nicht, aber vielleicht erkenne ich ein paar Wahrheiten.«
»Du erkennst sie, weil du sie sehen kannst«, flüsterte Laurel. »Bestimmt ist es vielen Menschen unangenehm, so durchschaut zu werden.« Sie schwieg einen Augenblick. »Wahrscheinlich sollte es mir genauso gehen. Als würde mein Unterrock raushängen, nur tausendmal schlimmer. Aber es ist mir nicht unangenehm. Das war es noch nie. Seltsam. Vielleicht ist es mir egal, ob du meinen Unterrock siehst. Vielleicht will ich, dass du mich so siehst, wie ich bin. Vielleicht bin ich es leid, dass Männer nur das in mir sehen, was sie sehen wollen. Es ist beinahe ein Geschenk, durchschaut zu werden.«
»Es gibt aber auch einiges an zuschauen«, sagte Ambler lächelnd und zog sie an sich.
Sie verschränkte die Finger wieder mit den seinen. »Es erinnert mich an das alte Kinderspiel: >Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass du weißt ...‹« Langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sei sein Lächeln in sie übergegangen. »Erzähl mir etwas über mich.«
»Ich glaube, du bist der sensibelste Mensch, der mir je begegnet ist«, sagte Ambler ernst.
»Du solltest wirklich öfter ausgehen«, grinste sie.
»Als kleines Mädchen warst du anders als die anderen, nicht wahr? Vielleicht, weil du immer ein bisschen weiter außen warst. Keine richtige Außenseiterin, aber jemand, der Dinge sah, die den anderen verborgen blieben. Auch in dir selbst. Als könntest du einen Schritt zurücktreten und alles aus größerer Distanz betrachten.«
Laurel lächelte nicht mehr. Sie starrte ihn gebannt an.
»Du bist ein fürsorglicher, ehrlicher Mensch, aber es fällt dir schwer, andere Menschen an dich heranzulassen. Die wahre Laurel Holland zeigst du nicht jedem. Aber wenn du jemanden ins Herz schließt, dann gilt das auch für immer, jedenfalls was dich angeht. Du bist sehr loyal. Du schließt nicht schnell Freundschaften, aber wenn du es tust, dann haben sie Bestand. Weil sie echt sind, nicht nur oberflächlich. Manchmal wünschst du dir vielleicht, dass es dir leichterfallen würde, Beziehungen zu knüpfen und zu beenden, so wie es andere Menschen tun.« Ambler schwieg einen Moment und fragte dann: »Liege ich richtig?«
Sie nickte stumm.
»Ich halte dich für einen sehr vertrauenswürdigen Menschen. Du bist keine Heilige – du kannst egoistisch und aufbrausend sein und damit die Menschen, die dir nahestehen, verletzen. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, bist du für sie da. Du weißt, wie wichtig es ist, ein guter Freund zu sein. Es ist wichtig für dich, dass du Selbstdisziplin ausstrahlst, aber oft fühlst du dich hilflos. Es ist beinahe ein Akt des Willens und der Disziplin für dich, ruhig zu bleiben und die Situation unter Kontrolle zu halten. Also auch dich selbst zu kontrollieren.«
Sie blinzelte langsam, schwieg aber weiterhin.
»Es gab Zeiten, in denen du deine Gefühle allzu ehrlich gezeigt hast«, fuhr Ambler fort. »Und danach Angst hattest, du könntest zu viel von dir preisgegeben haben. Das hat dich ein bisschen vorsichtig, vielleicht sogar ein bisschen reserviert
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