Ambler-Warnung
den richtigen Grad von Teilwissen zu bestimmen.«
Zackheim versuchte, seinen Arger unter Kontrolle zu halten. Seit jemand dieses Credo das Wexler-Prinzip getauft hatte, zitierte der Analyst es bei jeder sich bietenden Gelegenheit. »Und haben wir deiner Ansicht nach diesen Grad erreicht?«
»Meiner Ansicht nach haben wir ihn längst überschritten«, sagte Wexler. Er streckte die Arme hoch und unterdrückte ein Gähnen. »Vielleicht darf ich eure Aufmerksamkeit noch einmal auf die Unklarheiten lenken, die seine früheren Einsätzen betreffen. Dieser Mann muss gestoppt werden. Und zwar diskret. Bevor er seine Arbeitgeber in Verruf bringt.«
»Sie meinen doch hoffentlich seine ehemaligen Arbeitgeber.« Zackheim wendete sich wieder dem blassen jungen Mann zu: »Und wir können ihn zweifelsfrei identifizieren?«
»Sehr gut sogar«, sagte Randall Denning. »Wie gesagt, hat Tarquin sein Äußeres zwar chirurgisch verändert ...«
»Ganz typisch für einen Agenten, der auf Abwege geraten ist«, unterbrach Wexler.
»Aber die grundlegenden Indizes sind unverändert«, fuhr Denning unbeirrt fort. »Den Augenabstand und die Neigung des Foramen supraorbitale kann man nicht verändern. Die Krümmung der Mandibula und der Maxilla müssen gleich bleiben, weil sonst die Dentition zerstört wird.«
»Was zum Teufel soll das nun wieder heißen?«, bellte Zackheim.
Der Experte für Bildanalyse sah sich unsicher um. »Das soll heißen, dass plastische Chirurgie an den Knochenstrukturen des Schädels nichts verändert. Nase, Kinn und Wangen sind oberflächliche Protuberanzen, also Ausstülpungen. Wenn man ein Gesicht identifizieren will, kann man dem Computersystem befehlen, diese Ausstülpungen zu ignorieren und nur die unveränderlichen Indizes zu beachten.« Er reichte Zackheim ein weiteres Foto. »Wenn das hier Tarquin ist« – das Bild zeigte einen Mann in den Dreißigern, das einzige westliche Gesicht in einer asiatischen Menschenmenge – »dann ist das hier ebenfalls Tarquin.« Er deutete mit dem Stift aus schwarzem Hartgummi auf das Bild aus der Überwachungskamera des Montrealer Flughafens.
Franklin Runciman, der stellvertretende Direktor von Consular Operations, hatte bisher nichts zum Gespräch beigetragen. Er war ein stämmiger Mann mit stechend blauen Augen, schweren Brauen und markanten Gesichtszügen. Sein Anzug wirkte teuer, der blaugraue Kammgarnstoff war in einem diskreten Karomuster gewebt. Mit finsterem Blick sagte er. »Ich sehe keinen Anlass dazu, die Entscheidung zu vertagen.«
Zackheim hatte sich darüber gewundert, ja sogar geärgert, dass Runciman an dem Treffen teilnehmen wollte. Schließlich hatte man ihn mit der Leitung beauftragt, und die Gegenwart eines höhergestellten Beamten würde seine Autorität untergraben. Aber jetzt sah er den Vizedirektor erwartungsvoll an.
»Alle unsere Büros und Wachposten sollen sich in Bereitschaft halten«, sagte der Cons-Ops-Mann mit grollender Stimme. »Und ihre ›Abholdienste‹«, er sprach den Euphemismus mit hörbarem Widerwillen aus, »ihre >Abholdienste< informieren
und einsatzklar machen. Ihr Befehl lautet: festsetzen oder terminieren.«
»Wir sollten auch die anderen Behörden einschalten«, sagte Zackheim mit zusammengebissenen Zähnen. »Das FBI und die CIA.«
Langsam schüttelte Runciman den Kopf. »Outsourcing ja, falls es nötig ist. Aber unsere amerikanischen Kollegen ziehen wir da nicht mit rein. Ich bin altmodisch. Ich habe schon immer daran geglaubt, dass man seine Fehler am besten selbst korrigiert.« Er legte eine Pause ein und richtete seinen stechenden Blick auf Ethan Zackheim. »Wir bei Cons Ops räumen unseren Dreck selbst weg.«
Kapitel achtzehn
Paris
Wann war es geschehen – und was genau war geschehen? Überall warteten Überraschungen, und Laurel war eine davon. Wieder einmal hatte sie ein traumatisches Erlebnis gehabt – und war doch nicht traumatisiert. Ihre Widerstandsfähigkeit war außergewöhnlich und gab auch ihm Kraft. Und durch die Nähe des Todes waren alle Emotionen, die bereits in ihnen erwacht waren, voll aufgeblüht. Nicht nur Angst, sondern auch andere, viel wichtigere Gefühle. Ihm fiel auf, dass er allmählich immer häufiger in der ersten Person Plural dachte: Wo früher nur ein ich gewesen war, gab es jetzt ein wir. Was zwischen ihnen war, bestand aus Worten, Blicken und geteilten Gefühlen. Aus ekstatischem Glück und abgrundtiefer Verzweiflung. Aus Schmerz und Heilung. Aus leisem Lachen. Es war
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