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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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lebendig, herausgehoben und nicht nur als weitere staatliche Drohne in der Gehaltsklasse E9 zu fühlen. Vielleicht war er ein Weltreisender, der sich Reisen zusammensparte, um spezielle Ökotouren durch Wüsten und Regenwälder machen zu können. Vielleicht hatte er einen bemerkenswerten Weinkeller aufgebaut oder war ein leidenschaftlicher Handballfan oder manischer Golfer ... irgendetwas. Diese ausgebrannten Typen hatten immer irgendetwas. Viele Details von Amblers Vermutungen konnten falsch sein. Trotzdem war er überzeugt, dass er die Grundhaltung des anderen richtig eingeschätzt hatte. Mit Menschen kannte er sich aus; das war seine Stärke.
    Er las in ihnen.
    Der Psychiater konnte ihn nicht leiden – Ambler bereitete ihm unbewusstes Unbehagen. Die Fachkenntnis dieses Mannes hätte ihm spezielle Einblicke in die Psyche seines Patienten ermöglichen sollen, womit gewöhnlich ein Gefühl von Macht und Autorität einherging: die Autorität des Lehrers gegenüber dem Schüler, des Arztes gegenüber dem Patienten. Aber im Umgang mit Ambler spürte der Mann diese Autorität nicht.

    »Ich möchte Sie daran erinnern, dass diese Sitzungen ausschließlich zur Evaluierung dienen«, erklärte der Mann seinem Patienten. »Meine Aufgabe ist’s, Fortschritte zu überwachen und zugleich auf unerwünschte Nebenwirkungen der verordneten Medikamente zu achten. Am besten fangen wir gleich damit an. Irgendwelche neuen Nebenwirkungen, von denen ich wissen sollte?«
    »Es wäre leichter, über Nebenwirkungen zu sprechen«, sagte Ambler schwerfällig, »wenn ich wüsste, was die Hauptwirkung sein soll.«
    »Wie Sie wissen, sollen die Medikamente Ihre psychiatrischen Symptome unter Kontrolle halten. Paranoide Ideation, Dissoziationsamnesie, vegetative Dystonie ...«
    »Worte«, unterbrach Ambler ihn. »Ohne Bedeutung. Klänge ohne Sinn.«
    Der Psychiater tippte einige Notizen auf seinem Laptop. Die blassgrauen Augen hinter seinen Brillengläsern blitzten eisig.
    »Mehrere psychiatrische Tests wurden bereits zu Ihrer Dissoziationsamnesie durchgeführt. Das hatten wir alles schon mal.« Der Arzt drückte auf einen Knopf der vor ihm liegenden kleinen Fernbedienung, um ein Tonband abzuspielen. Der Ton kam klar und deutlich aus Deckenlautsprechern. Eine Stimme – Amblers Stimme – spuckte mit der atemlosen Hast eines Geistesgestörten Verschwörungstheorien aus: »Ihr steckt dahinter. Ihr alle! Und die anderen auch alle. Die Spur der menschlichen Schlange überlagert alles ...« So ging die Aufzeichnung endlos weiter: »Die Trilaterale Kommission ... Opus Dei ... die Rockefellers ...«
    Ambler empfand den Klang der bei einer früheren Sitzung aufgezeichneten eigenen Stimme als fast körperlich schmerzhaft.

    »Schluss damit«, sagte er ruhig, fast außerstande, die in ihm aufwallenden Emotionen zu unterdrücken. »Bitte stellen Sie’s ab.«
    Der Psychiater hielt das Tonband an. »Glauben Sie noch immer an diese ... Theorien?«
    »Das waren nur paranoide Fantasien«, sagte Ambler benommen, aber deutlich. »Und die Antwort lautet Nein. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, sie je gehabt zu haben.«
    »Sie bestreiten, dass das Ihre Stimme ist?«
    »Nein«, sagte Ambler, »das bestreite ich nicht. Ich ... ich kann mich nur nicht daran erinnern. Das bin nicht ich, okay? Ich meine, das bin ich nicht wirklich.«
    »Sie sind also noch jemand. Zwei verschiedene Persönlichkeiten. Oder mehr?«
    Ambler zuckte hilflos mit den Schultern. »Als kleiner Junge wollte ich Feuerwehrmann werden. Das will ich jetzt nicht mehr. Dieser Junge verkörpert nicht mein wahres Ich.«
    »Letzte Woche haben Sie gesagt, als kleiner Junge hätten Sie Baseballspieler werden wollen. Oder habe ich da mit einem anderen Mann gesprochen?« Der Psychiater nahm seine Brille ab. »Die Frage, die ich Ihnen stelle, ist die Frage, die Sie sich selbst stellen müssen: Wer sind Sie?«
    »Das Problem bei dieser Frage«, sagte Ambler nach langer Pause, »ist die Tatsache, dass Sie sie für eine Multiple-Choice-Frage halten. Ich soll mir aus den von Ihnen vorgegebenen Optionen eine aussuchen.«
    »Halten Sie das für das Problem?« Der Psychiater sah von seinem Laptop auf. »Das eigentliche Problem besteht meines Erachtens darin, dass Sie jeweils mehr als eine Antwort ankreuzen.«

    Ambler brauchte einige Augenblicke, um sich aufzuraffen, als der Bus am Cleveland Park hielt, aber er kam noch rechtzeitig hinaus. Auf der Straße zog er seine Baseballmütze tiefer in die

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