Ambler-Warnung
den Mund.«
Schließlich ging Ambler in den engen Innenhof des Gebäudes. Die Erdgeschosswohnung hatte ein paar Fenster, die auf das verlassene Viereck hinausgingen. Keine besonders elegante Methode, aber wenigstens wirksam.
Mit dem Buchrücken des Taschenbuchs schlug Ambler eine Scheibe ein und entfernte sorgfältig alle verbliebenen Glassplitter aus dem Fensterrahmen. Einen Moment lang verharrte er bewegungslos lauschend, aber er hörte nichts. Kein Zeichen, dass ein unsichtbarer Hausbewohner etwas mitbekommen hatte.
»Sie haben die Vereinigten Staaten von Amerika gerade vierhundert Dollar gekostet«, sagte Caston leise. »Mindestens.
Allein für die Scheibe. Die Arbeitsstunde eines Glasermeisters kostet in Paris ein Vermögen.«
Ambler stützte sich mit beiden Händen auf dem steinernen Sims auf, zog sich mit Schwung hoch und hechtete durch das nun glaslose Fenster. Direkt unter dem Fenster stand ein stabil aussehendes Bücherregal, aber irgendwie schaffte er es, darüber zu gleiten und dahinter auf den Füßen zu landen.
Vorsichtig ging er durch die düstere Wohnung zur Eingangstür, schaltete das Licht an und schob den Riegel zurück.
Als er die Tür öffnete, wartete Caston mit vor der Brust verschränkten Armen bereits ungeduldig davor.
»Übrigens ist es eiskalt hier«, sagte er. »Aber Sie mussten ja unbedingt ein Fenster einschlagen.«
»Kommen Sie rein.« Er schloss die Tür hinter Caston und verriegelte sie mit dem Bolzenschloss. Ein sicheres Haus hatte keine Alarmanlage; man fürchtete das Eintreffen der örtlichen Polizei viel mehr als einen Einbrecher.
Die zwei Männer wanderten durch die Wohnung, bis sie auf ein kleines Zimmer stießen, in dem ein großer Fernseher stand. Unter dem Fernseher befand sich eine kleine Box, die auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Satelliten-Receiver aussah. Ambler wusste es besser. Die Satellitenschüssel auf dem Dach war durch ein abgeschirmtes Fiberoptikkabel mit dem Erdgeschoss verbunden, und die Box enthielt komplizierte Decoder-Software für verschlüsselte Daten.
Dies war kein Hochsicherheitsgerät, mit dem man sensible Daten empfangen konnte. Aber das Material, das sie suchten, stand nicht unter Verschluss. Es lag nur nicht offen herum.
Caston suchte in den Schubladen der TV- Bank, bis er eine Tastatur entdeckte. Er lächelte sie an wie einen lieben
Freund. Dann schaltete er den Bildschirm ein und begann, ein paar Minuten lang geschäftig zu tippen.
Der Bildschirm erwachte zum Leben, zeigte aber nur Schneegestöber. »Mal sehen, ob ich noch weiß, wie das geht«, sagte Caston halblaut. Er fummelte an der Fernbedienung herum. Abrupt füllte sich der Monitor mit Ziffern. Angezeigt wurden Größe und Ladezeit einiger großer Download-Dateien.
Caston wirkte nicht mehr verschmitzt, sondern sehr ernst.
»Ich nehme Dateien aus einem Open-Source-Sektor«, erklärte er dem Agenten. »Hauptsächlich frei zugängliches Material. Ich will nur, dass Sie Ashton Palmer in seinem Element erleben. Sie sind schließlich der Gesichtsexperte. Ich will, dass Sie dieses Gesicht farbig, in Lebensgröße und höchster Auflösung vor Augen haben.« Seine Finger rasten erneut über die Tastatur, während er verschiedene Einstellungen veränderte. Plötzlich belebte sich der Bildschirm und zeigte Palmer, der gerade einen Vortrag hielt.
»Die Datei stammt aus der Mitte der neunziger Jahre«, fuhr Caston fort. »Eine Rede, die er bei einer vom Center for Policy Studies ausgerichteten Tagung hielt. In einem Artikel, den ihre Freundin in der BnF gefunden hat, stand ein Verweis darauf. Palmer bleibt zwar höflich, aber man begreift ziemlich schnell, was er eigentlich im Schilde führt.«
Auf dem Bildschirm wirkte Ashton Palmer selbstbewusst, gebieterisch und sehr gelassen. Hinter ihm sah man dunkle Vorhänge. Er trug einen eleganten marineblauen Anzug, ein helles Hemd und eine dezente rote Krawatte.
»Die traditionelle chinesische Stadtwohnung war der siheyuan – was wörtlich übersetzt >von vier Seiten umringter Innenhof< bedeutet. Diese Innenhöfe wurden von nach innen ausgerichteten Gebäuden begrenzt, ein Sinnbild für totale
Abgeschlossenheit. In anderen Zivilisationen waren Metropolen immer auch kosmopolitische Zentren und dokumentierten den Drang der Menschen, nach außen zu blicken. Egal, ob als Entdecker oder Eroberer. Für China galt das noch nie. Die nach innen ausgerichtete Architektur des siheyuan ist ein passendes Symbol für den chinesischen
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