Ambler-Warnung
ideologische Projektion der Finanzinteressen des globalen Kapitals – oder als l’hégémonie des riches« – die Hegemonie der Reichen – bezeichnet wurde. Der Artikel war endlos lang und käute immer
wieder die linke Kritik an »l’orthodoxie libérale« wieder, ergriff aber weder für noch gegen sie Partei. Der ganze Aufsatz erschien Ambler wie ein seltsam stilisierter Eiertanz. Intellektuelle Spiegelfechterei.
»Was steht drin?«, fragte Laurel.
»Es geht um ein Treffen der Wirtschaftstitanen in Davos. Den Weltwirtschaftsgipfel.«
»Oh«, sagte sie. »Ist der Autor dafür oder dagegen?«
»Ich wette, das weiß er selbst nicht«, sagte Ambler.
»Ich war mal dort«, sagte der Buchprüfer. »Das Weltwirtschaftsforum wollte mein Wissen bei einem Tagungsschwerpunkt. Es ging um Geldwäsche, und sie wollten wohl ein paar Leute dabei haben, die wussten, wovon sie sprachen. Wir waren das Grünzeug in einem Blumenbouquet.«
Ambler starrte wieder auf die Straße und vergewisserte sich, dass niemand Verdächtiges sich genähert hatte. »Ich habe keine Lust mehr, Blindekuh zu spielen. Wir wissen, dass es ein Muster gibt – eine Progression, eine Sequenz. Aber diesmal muss ich das nächste Ereignis in der Kette vorhersehen, bevor es eintritt.«
»Mein Assistent versucht gerade, mehr Informationen von Joint Intel Resources zu bekommen«, sagte Caston. »Wir sollten abwarten, was er uns liefert.«
Ambler warf dem Back-Office-Mann einen eisigen Blick zu. »Caston, Sie haben hier nicht das Sagen. Wie gesagt, das hier ist nicht Ihre Welt.«
Wu Jingu sprach zwar sehr leise, hatte aber nur selten Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Während seiner Laufbahn im Ministerium für Staatssicherheit hatte er sich den Ruf eines nüchternen Analysten erarbeitet, der weder zu optimistisch noch zu pessimistisch war. Ein Mann, dem die
Leute zuhörten. Nur Präsident Liu Ang hörte frustrierend wenig auf seine Ratschläge. Kein Wunder, dass die Muskeln in Wus schmalen Schultern verspannt waren und schmerzten.
Er lag bewegungslos und mit dem Gesicht nach unten auf der schmalen gepolsterten Bank und bereitete sich auf seine zweimal wöchentlich verordnete Massage vor. Er versuchte, allen Stress aus seinem Geist zu verbannen.
»Ihre Muskeln sind furchtbar verspannt«, sagte die Masseurin, deren starke Finger sich in das Fleisch seiner Schultern gruben.
Eine unbekannte Stimme – nicht seine übliche Masseurin. Er drehte den Kopf und sah die Vertretung über die Schulter hinweg an. »Wo ist Mei?«
»Mei ist ein bisschen angeschlagen. Ich bin Zhen, ich hoffe, das stört Sie nicht?«
Zhen war sogar noch schöner als Mei, und ihre Hände arbeiteten sicher und voller Selbstvertrauen. Wu nickte zufrieden. Das elitäre, exklusive Caspara Spa, das neu in Peking eröffnet hatte, stellte nur die Besten ein: Das war offensichtlich. Er drehte sich wieder um, legte den Kopf auf die offene Stütze und lauschte den beruhigenden Klängen von gluckerndem Wasser und sanft gezupftem ghuzeng, die aus verborgenen Lautsprechern drangen. Unter Zhens geübten Fingern schienen seine Verspannungen geradezu wegzuschmelzen.
»Ausgezeichnet«, murmelte er. »Um das Schiff zu retten, muss der aufgewühlte Ozean beruhigt werden.«
»Das ist unsere Spezialität, Sir«, sagte Zhen leise. »So verspannte Muskeln. Auf Ihnen lastet bestimmt sehr viel Verantwortung.«
»Oh ja«, murmelte Wu.
»Da weiß ich genau das Richtige für Sie.«
»Ich bin Wachs in Ihren Händen.«
Die schöne Masseurin begann, seine Fußsohlen mit Akkupressur zu behandeln, und Wu spürte, wie ein Gefühl der Schwerelosigkeit von ihm Besitz ergriff. Der Sicherheitsberater war so schläfrig, dass er zuerst gar nicht auf die Spritzennadel reagierte, die unter seinen linken großen Zehennagel geschoben wurde. Der Stich war so unerwartet, dass er ihn im ersten Moment gar nicht registrierte. Und nur Sekunden später durchflutete unendliche Entspannung seinen Körper wie eine Welle der Betäubung. Während der nächsten Sekunden dachte er nur noch abwesend über den Unterschied zwischen Entspannung und Lähmung nach. Er fühlte sich, als sei er der Welt entrückt.
Und dann – wie Zhen sachlich feststellte – war er schlicht tot.
Burton Lasker bestieg den Fahrstuhl des Hotels George V. mit dem jungen, rotwangigen Manager, der gerade Dienst hatte. Im siebten Stock klopfte der Mann an die schwere Eichentür von Fentons Suite und schloss dann die Tür mit einer
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