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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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konstruiert, seinen Inhalt schlagartig in sein Ziel zu spritzen.
    Wieso war er dann nicht schon bewusstlos? Die Frage würde sich vielleicht bald selbst beantworten. Er merkte, dass sein Denken unscharf und verschwommen wurde. Das war ein nur allzu vertrautes Gefühl, das ihm bewies, dass er auf Parrish Island – vielleicht sogar oft – unter ähnliche Betäubungsmittel gesetzt worden war. Möglicherweise hatte er so eine gewisse Resistenz gegen sie entwickelt.
    Dazu kam ein weiterer schützender Faktor. Weil die Hohlnadel sich in einen Knochen gebohrt hatte, war sie blockiert gewesen, die Flüssigkeit hatte nicht frei austreten können. Und der Injektionspfeil musste eine nichttödliche Dosis enthalten haben, sonst wäre eine Kugel einfacher gewesen. Wenn ein Pfeil dieser Art bei Entführungen verwendet wurde, sollte er selbstverständlich nicht tödlich wirken.
    Er hätte inzwischen bewusstlos sein müssen, doch er war nur langsamer. In einem Augenblick langsamer, in dem er sich eine Beeinträchtigung seiner Fitness und Wahrnehmung am wenigsten leisten konnte. Der Nadelteppich unter ihm erschien ihm jetzt als sehr geeigneter Ort, um sich auszustrecken und ein Nickerchen zu machen. Nur für ein paar Minuten.
Er würde sich ein wenig ausruhen und erfrischt aufwachen. Nur für ein paar Minuten.
    Nein! Er durfte der Versuchung nicht nachgeben. Er musste weiter seine Angst spüren. Carfentanyl, daran erinnerte er sich jetzt, hatte eine Halbwertszeit von neunzig Minuten. Lag eine Überdosierung vor, bestand die optimale Behandlung aus einer Infusion mit dem Opiat-Gegenmittel Naloxon. Stand es jedoch nicht zur Verfügung, konnte ersatzweise Epinephrin injiziert werden. Epinephrin. Besser als Adrenalin bekannt. Um zu überleben, durfte er der Angst nicht ausweichen, sondern musste sie im Gegenteil suchen.
    Spür die Angst, ermahnte er sich, während er unter dem Geäst der großen Hemlocktanne hervorkroch und den Kopf nach allen Richtungen verdrehte. Und plötzlich spürte er jähe Angst, als er wieder das leise Pfeifen hörte, mit dem die Luft an der starren Befiederung eines Hochgeschwindigkeitsprojektils vorbeiströmte, das ihn nur um eine Handbreit verfehlte. Adrenalin wurde in den Blutkreislauf ausgeschüttet: Sein Mund wurde trocken, sein Herz begann zu rasen, und seine Magennerven verkrampften sich. Jemand war hinter ihm her. Was bedeutete, dass jemand wissen musste, wer er wirklich war. Bewusstes Handeln trat in den Hintergrund; es wurde durch automatische Reaktionen ersetzt, die von Ausbildung und Instinkt geprägt waren.
    Beide Projektile waren aus der gleichen Richtung irgendwo vom Seeufer gekommen. Aber aus welcher Entfernung? Das Standardverfahren sah vor, unnötige Nähe zu vermeiden; ein Mann mit einem Betäubungsgewehr konnte seine Aufgabe aus sicherer Entfernung erfüllen. Wegen der geringen Reichweite der Injektionspfeile konnte diese Entfernung jedoch nicht sehr groß sein. Ambler ging in Gedanken nach Südwesten und versuchte, sich alle Einzelheiten des Geländes
vorzustellen. Dort gab es einen dichten Bestand von Hemlocktannen, deren Zweige mit kleinen braunen Zapfen besetzt waren, außerdem eine lockere Reihe von Felsbrocken, über die man wie auf einer Treppe gehen konnte, und einen Graben, in dessen feuchtem Schatten im Sommer Skunkkohl und Frauenschuh gediehen. Und absturzsicher an einer alten, kränkelnden Ulme befestigt, stand ein Hochsitz für die Jagd.
    Ja, natürlich! Ein stabiler, transportabler Hochsitz, der wie so viele »Provisorien« vor langen Jahren aufgestellt und nie mehr abgebaut worden war. Der Sitz maß ungefähr drei Fuß im Quadrat; die kräftigen Gurte, mit denen er befestigt war, führten um den Stamm herum und waren mit Sicherungsschrauben fixiert. Seiner Erinnerung nach war die Sitzfläche ungefähr dreieinhalb Meter über dem Boden, und der wiederum lag gut drei Meter höher als die Stelle, an der Ambler sich jetzt befand. Jeder Profi hätte diese ideale Schussposition genutzt. Wie lange hatte der Mann mit dem Betäubungsgewehr ihn schon im Visier gehabt, bevor er abgedrückt hatte? Und wer zum Teufel waren diese Leute überhaupt?
    Die Unsicherheiten begannen Ambler zu ermüden; sie reaktivierten irgendwie das Carfentanyl, von dem er ein paar Mikrogramm im Blut hatte: Ich möchte hier ausruhen. Nur für ein paar Minuten. Man hätte glauben können, das starke Betäubungsmittel flüsterte ihm diesen Vorschlag ins Ohr. Nein! Er stellte sich abrupt der drohenden Gefahr,

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