Ambler-Warnung
die zu dem Beispiel passt, das ich geben möchte.«
»Bitte bedenken Sie ...«, begann Wan.
»Sie dürfen gern ohne mich weiterdiskutieren«, sagte der jugendliche Präsident und erhob sich. »Aber Sie müssen mich entschuldigen. Oben wartet meine Ehefrau auf mich, die sich allmählich fragt, ob die Volksrepublik China sie vor der Zeit zur Witwe gemacht hat. Das hat sie jedenfalls neulich mal angedeutet. Und solche Andeutungen zwingen mich tatsächlich zum Handeln.« Sein Scherz wurde mit einem pflichtschuldigen Lächeln gewürdigt, aber die Atmosphäre im Raum blieb weiterhin gespannt.
Vielleicht wollte der junge Präsident gar nicht wissen, welche Gefahr ihm drohte. Offenbar fürchtete er die Konsequenzen politischer Paranoia mehr als die Gefahr selbst. Die anderen konnten sich solche Kaltblütigkeit nicht leisten. Denn auch was Liu Ang nicht wusste, konnte ihn töten.
Kapitel acht
St. Andrews Plaza, Lower Manhattan
Amblers Augen fühlten sich trocken und entzündet an, seine Muskeln schmerzten. Er saß auf einer Bank mitten auf einer großen Zementplattform, die zwischen drei hoch aufragenden Bürotürmen lag. Die Gebäude wirkten abweisend und grau. Wie so oft in Lower Manhattan standen die riesigen Hochhäuser zu eng beieinander, wie Bäume, die sich in einem dicht gepflanzten Forst gegenseitig Licht und Luft streitig machen. Jedes einzelne dieser Gebäude hätte in den meisten Städten dieser Welt wirklich als großartiges Bauwerk gegolten. In Lower Manhattan hingegen fielen sie nicht besonders auf. Ambler räkelte sich erneut in seinem Sitz. Nicht, um es sich bequem zu machen, sondern um es sich weniger unbequem zu machen. Der Presslufthammer, den Straßenarbeiter irgendwo in der Nähe benutzten, verursachte ihm allmählich Kopfschmerzen. Er sah auf seine Uhr; die New York Post hatte er bereits von Anfang bis Ende durchgelesen. Ein Straßenhändler mit einem kleinen Karren verkaufte am anderen Ende des Platzes gebrannte Mandeln. Ambler überlegte gerade, ob er sich eine Tüte kaufen sollte, damit er wenigstens etwas zu tun hatte. Da bemerkte er einen Mann mittleren Alters in einer Yankee-Jacke, der aus einem schwarzen Dienstwagen stieg.
Die Zielperson war angekommen.
Der untersetzte Mann schwitzte trotz der Kälte und blickte sich nervös um, als er allein die Stufen vom Bürgersteig zur Plaza hinaufstieg. Ein Mensch, der wusste, wie gefährdet er war. Ein Mensch, der Schlimmes ahnte.
Ambler stand langsam auf. Und was jetzt? Er hatte beschlossen, sich möglichst lange an Arkadys Szenario zu halten - und sich dann im richtigen Augenblick etwas einfallen zu lassen. Es war durchaus möglich, dass er die Aktion abbrechen musste.
Eine Frau mit hohen Absätzen und einem grünen Plastikregenmantel lief schnell auf Ambler zu. Ihr dichtes Haar war lang und blond, die Lippen waren sinnlich, die Augen graugrün. Sie erinnerten Ambler an Katzenaugen, vielleicht weil die Frau, wie eine Katze, nie zu blinzeln schien. Sie trug eine braune Papiertüte in der Hand, die überhaupt nicht zu ihrem eleganten Auftreten passte. Als sie direkt vor ihm war, weckte die Drehtür des Staatsgebäudes im Norden des Platzes offenbar ihre Aufmerksamkeit, sie sah zur Seite und stolperte genau in ihn hinein.
»Ach, Mist. Tut mir leid«, murmelte sie mit rauer Stimme.
Plötzlich hielt Ambler die Papiertüte in den Händen. Mit den Fingern vergewisserte er sich, dass sie kein Sandwich enthielt.
Der Mann in der Yankee-Jacke hatte den Platz erreicht und bewegte sich auf das Gebäude zu. Ihm blieben vielleicht noch zwölf Sekunden.
Ambler öffnete seinen beigefarbenen Regenmantel – an jeder Ecke der Stadt gab es mindestens ein Dutzend davon zu sehen – und zog die Waffe aus der Tüte. Eine brünierte Ruger Redhawk im Kaliber .44 Magnum. Das Kaliber war viel zu groß für diesen Auftrag und vor allem definitiv zu laut.
Er drehte sich um und sah, dass die Blondine sich auf eine Bank direkt neben dem Gebäude gesetzt hatte. Ein Logenplatz für seine Vorstellung.
Und jetzt? Amblers Herz raste. Dies war kein Testlauf.
Dies war Wahnsinn.
Es war Wahnsinn, dass er der Sache zugestimmt hatte. Es war Wahnsinn, dass sie ihn überhaupt angeheuert hatten.
Die Zielperson blieb abrupt stehen, sah sich um und ging weiter. Der Mann war inzwischen höchstens zehn Meter von Ambler entfernt.
Wie die Sonne, die hinter einer Wolke hervortritt, leuchtete in Amblers Verstand eine plötzliche Intuition hell auf: Jetzt verstand er, was er
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